0928 - Der Fliegenmann
stören. In meinem Nacken hatte sich der Schweiß gesammelt. Kalte Tropfen rannen in langen Bahnen über meinen Rücken hinweg.
Niemand bewegte sich vor mir. Auch Harry Stahl hielt sich versteckt. Da er sich nicht meldete, schien er unseren Freund Edgar auch nicht entdeckt zu haben.
Ich hörte ein Geräusch, mit dem ich zuerst nicht zurechtkam. Zunächst war es nur ein Summen, das aber immer weiter anschwoll, mir regelrecht entgegendröhnte, und dann sah es so aus, als wollte sich vor mir der Boden in zahlreiche Einzelteile auflösen, wobei er in die Luft stieg und sich zu einer gewaltigen Wolke vereinigte, die genau in meine Richtung wehte.
Eine schwarze, eine brummende und summende Wolke, die sich aus unzähligen Fliegen zusammensetzte…
***
Damit hatte ich nicht gerechnet und war im ersten Moment so überrascht, daß ich nichts dagegen unternehmen konnte. Ich stand da, schaute auf die Wolke, die so dicht war, daß sie mir einen Großteil der Sicht nahm. Das heißt, ich konnte nicht durch sie hindurchschauen.
Sie kam!
Und sie war schnell!
Der Wald war plötzlich von einem unheimlichen und außergewöhnlichen Leben erfüllt. Sämtliche Fliegen und andere Insekten schienen sich versammelt zu haben, um sich gegen den Menschen zu stellen. In der Masse konnten sie eine Macht sein, und hier waren sie eine Macht, in deren Flugschneise ich stand.
Nicht mehr lange. Ich wollte und mußte weg, und es war mir egal, ob es wie eine Flucht aussah. Ich rannte dorthin, wo ich hergekommen war, wobei ich hoffte, daß diese verdammte Fliegenbrut in dem Wald zurückblieb.
Ich hatte mich geduckt, den Kopf eingezogen, die Zähne zusammengebissen, und die schaurige Musik hinter mir nahm an Lautstärke zu. Ein Zeichen, daß sie mir auf den Fersen waren.
Damit hatte ich nicht rechnen können. Ich dachte an den nackten Mann, während ich über die Hindernisse hinwegsprang, dann stolperte, und ich fragte mich dabei, was dieser nackte Mann mit den Fliegen zu tun hatte.
Etwas klatschte gegen mein Gesicht.
Es war kein Schlag mit der Hand oder einem anderen Gegenstand, es war nur ein breiter Ast, den ich übersehen hatte, und plötzlich funkelten Sterne vor meinen Augen.
Nur mühsam hielt ich mich auf den Beinen, wobei ich leider die Orientierung verlor, aber die Fliegen waren noch immer da. Sie summten hinter mir. Ich bewegte mich mühsam weiter, war nicht mehr so auf der Höhe, übersah ein Hindernis am Boden, stolperte und fiel nach vorn.
Reflexhaft stützte ich mich ab, landete zum Glück weich, und dann waren die Fliegen über mir oder in meiner Nähe. Das Geräusch dröhnte in meinen Ohren, laut wie der Lärm startender Düsenflugzeuge.
Dunkelheit. Dicht und schwarz. Eine Stimme, die ich trotz des Brummens hörte. Eine Warnung. Laut und dröhnend gesprochen, sogar in deutscher Sprache. »Geht – geht – geht…«
Die Stimme verstummte.
Ich blieb liegen, wollte gar nicht sehen, was mich da umtoste, aber die Stimme kehrte zurück.
»Ich bin die Angst!«
***
Dreimal wiederholte sie diesen Satz, als sollte ich ihn mir genau einprägen, dann dröhnte das Geräusch noch einmal auf, wurde aber leiser, zog sich zurück und war schließlich verschwunden.
Ich aber blieb liegen und dachte an die Warnung, die man mir mit auf den Weg gegeben hatte.
»Ich bin die Angst!«
Etwas krabbelte über meine Lippen, das ich als widerlich und schleimig ansah. Wahrscheinlich ein Wurm, der sich neugierig aus dem weichen Boden geschoben hatte.
Ich drehte den Kopf etwas zu Seite, spie aus, und in meinen Speichel hinein hatten sich noch kleinere Erdkrumen gedrängt, die beim Ausspucken zwischen den Zähne knirschten.
Das Brummen war verschwunden, aber in meinen Ohren dröhnte es noch immer nach.
Ich hatte etwas erlebt, mit dem ich erst mal zurechtkommen mußte. So lange ich auch schon in diesem Job tätig war, das hatte ich noch nicht erlebt. Von einem Fliegenschwarm angegriffen zu werden, war mir noch nicht passiert.
»John, John! Verdammt, wo steckst du? Melde dich doch…«
Die Stimme gehörte Harry Stahl. Er suchte nach mir. Er lebte, und das machte mich froh.
Ich wollte ihm helfen, stemmte mich hoch, aber irgendwo machte meine Stimme nicht so mit, denn laut schreien konnte ich nicht. Nur ein rauhes Flüstern drang über meine Lippen, und ich merkte auch das Brennen zwischen Wange und Stirn, wo mich der Ast erwischt hatte. Mist auch!
Mühsam kam ich wieder hoch, sah in der Nähe einen liegenden Baumstamm und ließ mich darauf
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