0928 - Der Fliegenmann
Fliegen sind zweitrangig, ich will Edgar Bronzek.«
»Den natürlich auch. Aber er wird sich hüten, John. Er hat die Fliegen geschickt. Sie sind seine Freunde. Sie spielen mit den Menschen. Er hält sich im Hintergrund verborgen.«
»Lange geht das nicht mehr gut. Er muß sich zeigen.«
Harry hob die Schultern.
Wieder warteten wir. Die Zeit tropfte dahin. Ich schüttelte den Kopf, als sich eine Fliege in die Nähe meines Gesichtes verirrte.
Ich schaute in den Außenspiegel, aber auch hinter uns bewegte oder rührte sich nichts. Nicht mal ein Hund oder eine Katze überquerten die Fahrbahn.
Man wartete, und wir warteten auch.
»Soll ich das Radio einschalten, John?«
»Nein, laß es lieber.«
»War auch nur ein Vorschlag.«
»Ich weiß.«
Harry schüttelte den Kopf. »Verdammt noch mal, ich bin nervös und sauer. Ich komme langsam nicht mehr zurecht. Je mehr ich dar über nachdenke, um so weniger weiß ich. Außerdem frage ich mich, ob dieser Säckler das alles gewußt hat, als er mir den neuen Job schmackhaft machte.«
»Das glaube ich nicht. Dann hätte er zumindest etwas angedeutet.«
»Ach, ich traue dem Burschen nicht.«
»Ihm ging es um Edgar Bronzek.«
»Ja. Um einen Toten, der sich wieder quicklebendig zeigte. Da komme ich nicht mit, John. Das will nicht in meinen Kopf. Er ist erschossen worden, das steht fest. Er hat das Agentenspiel damals zu weit getrieben. Man hat ihn erwischt, erschossen und verscharrt. Und zwar hier in der Nähe. Und jetzt taucht er wieder auf. Zahlreiche Fliegen in seiner Begleitung. Er ist praktisch der Herr der Fliegen, der Fliegenmann. Er ist auch die Angst. Warum? Wie kommt es? Wie ist das möglich? Was ist passiert?«
Ich schwieg.
»Du weißt es also auch nicht?«
»Nein, Harry, nein. Es muß etwas in der Zwischenzeit geschehen sein. Mehr kann ich dir auch nicht sagen.«
»Also während er tot war.«
»Ja…«
Harry Stahl lächelte. »Überzeugend klang das aber nicht.«
»Es ist auch nicht überzeugend, Harry. Vielleicht ist es auch passiert, als er noch lebte. Da muß er irgendwelchen Kontakt mit finsteren Mächten gehabt haben. Mit Dämonen oder anderen Kreaturen. Das alles ist möglich.«
»Wieso gerade Fliegen?«
Ich hob die Schultern.
Unser Gespräch schlief ein. Jeder von uns hing seinen Gedanken nach. Dabei beobachteten wir auch die Umgebung, aber die Bewohner steckten nach wie vor in ihren Häusern.
Petlery war zu einer Geisterstadt geworden.
Mittlerweile war der Nachmittag vergangen, der Abend hatte sich genähert. Aber er schickte leider keine Kühle. Es blieb feucht und dunstig, als würden irgendwo Nebelschwaden aufsteigen und allmählich in die Stadt treiben.
Die ersten Fliegen erschienen.
Harry, der leicht eingedöst war, schrak zusammen, als die Tiere gegen die Windschutzscheibe flogen. Beim Aufprall hinterließen sie laute Geräusche. Sie tickten wieder weg und versuchten es erneut, wobei sie immer mehr wurden, die unser Fahrzeug umkreisten.
Stahl richtete sich auf. »John, ich denke, es geht los!«
»Ja, nur ist unser Freund noch nicht da.«
»Der kommt noch, verlaß dich drauf.«
Zuerst blieb es bei den Fliegen. Sie vermehrten sich nicht mehr, zumindest nicht die, die um unseren Wagen herumflogen, aber an anderen Stellen entdeckten wir sie. Manchmal umkreisten sie in kleinen Schwärmen irgendwelche Hindernisse, und in der Luft war eine gewisse Unruhe entstanden. Möglicherweise so etwas wie eine Vorfreude auf das große Ereignis.
Aber der Fliegenmann ließ sich Zeit. Er führte im Unsichtbaren Regie, möglicherweise auch durch seine Fliegen, denen er die Befehle geschickt hatte. Sie waren seine Boten, er konnte durch ihre Augen schauen und beobachten.
»John, da kommt die alte Frau.«
Ich hatte sie nicht gesehen, denn sie war dabei, auf Harrys Seite die Straße zu überqueren. Sie hatte sich nicht umgezogen, sie ging daher wie eine Schlafwandlerin. Fliegen umtanzten ihren Kopf, setzten sich auf ihr Gesicht, was sie geschehen ließ.
Als sie näher kam, ohne von uns Notiz zu nehmen, sahen wir, wie einige Fliegen zuerst über ihre Lippen krochen, als warteten sie darauf, daß sie den Mund öffnete.
Das tat sie.
Wir mußten schlucken, als wie sahen, daß sie die Fliegen aß. Sie kaute wohl auf den kleinen Körpern und schluckte sie dann hinunter. Dabei blieb sie nicht stehen, so dicht an unserem Wagen, daß wir sie genau beobachten konnten.
Einen Moment später bekamen wir große Augen. Wir sahen noch, wie sie mit der rechten
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