0932 - Das 14. Siegel
die Schmerzenslaute? Und warum hatten sie sie bis nach Amerika gehört?
»Zamorra hat doch sicher nichts dagegen, wenn wir auf ihn warten.«
»Das wage ich nicht zu beurteilen. Aber bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause.«
»Danke, William. Sie sind ein Schatz.«
Während der Butler in der Küche verschwand, gingen die Peters-Zwillinge die Treppe hoch und folgten dem geistigen Wimmern. Tatsächlich führte der Schmerzenslaut sie nicht vor einen von Zamorras Räumen. Stattdessen landeten sie im Gästetrakt.
»Da ist es!« Uschi presste das Wort mit einem Keuchen hervor und blieb vor einer der Türen stehen. Sie konnte die Qualen dahinter förmlich greifen.
Sie öffneten die Tür und sahen sich Rhett gegenüber. Außerdem befand sich ein weiterer junger Mann im Zimmer. Mitte zwanzig, smart, durchtrainiert, quirlig. Irgendwie strahlte er einen lausbubenhaften Charme aus. Als er die Zwillinge sah, sprang er aus seinem Sessel auf und grinste sie schief an.
An der Wand stand ein Bett, auf dem eine junge Frau lag. Siebzehn oder achtzehn Jahre alt. Sie schien in Albträumen gefangen zu sein. Sie stöhnte, schwitzte, warf den Kopf hin und her. Der Rest des Körpers hingegen blieb völlig ruhig. Das Wimmern war inzwischen wieder angeschwollen, aus der Brise wurde langsam ein Sturm, der in einem neuerlichen Schmerzensschrei enden würde. Und dieses Mädchen auf dem Bett gab die mentalen Laute von sich.
Natürlich wussten die Peters-Zwillinge aus ihren Telefonaten mit Zamorra um die näheren Umstände. Der Professor hatte ihnen auch von Anka Crentz und Dylan McMour erzählt. Die Schwestern konnten nur erahnen, welche Qualen Anka durchleiden musste, wenn sie ihre Pein bis nach Florida wahrgenommen hatten, obwohl sie das Mädchen überhaupt nicht kannten!
Auch Rhett stand auf und kam ihnen entgegen. »Ihr? Na, das ist aber eine Überraschung!«
Die Augen des Erbfolgers waren klein und verquollen, sein Haar verstrubbelt, seine Stimme leise und verwaschen. So stellten sich die Zwillinge die fleischgewordene Müdigkeit vor.
Nach den allgemeinen Vorstellungsfloskeln berichteten sie Rhett und Dylan, was sie hergeführt hatte.
»Ich wusste es!« Rhett ging neben dem Bett in die Knie und drückte Ankas Hand. »Ich wusste, dass sie sich quält. Aber wie können wir ihr helfen?«
Uschi fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare. »Ich weiß es nicht.«
»Moment mal!« Dylan sah von Uschi zu Monica und dann wieder zurück. Offenbar suchte er nach Merkmalen, wie er die Schwestern unterscheiden konnte. Das würde ihm aber nicht gelingen. Nicht einmal Robert Tendyke konnte sie auf Anhieb auseinanderhalten und der teilte mit ihnen Tisch und Bett. Aus unerfindlichen Gründen hatte Nicole Duval damit jedoch nie Probleme gehabt. Sie hatte immer sofort gewusst, wer Monica und wer Uschi war, und sich darüber gewundert, dass den anderen das nicht gelang. »Nur mal zum Verständnis für die Leute auf den billigen Plätzen: Ihr könnt Ankas Schmerzensschrei hören? Wie ist das möglich?«
»Sie sind Telepathinnen«, erklärte Rhett anstelle der Zwillinge. »Merlin nannte sie die zwei, die eins sind .«
»Und das heißt was?«
»Das heißt zum Beispiel, dass das mit der Telepathie nur klappt, wenn sie zusammen sind. Sind sie zu weit auseinander, versagt diese Kraft.«
»Fein.« Dylan sah Monica an. »Was ich aber trotzdem nicht begreife, Uschi…«
»Monica«, sagte Monica.
»Von mir aus. Ich begreife nicht, warum ihr den Ruf hört. Warum nicht andere Telepathen?«
»Das haben wir uns auch schon gefragt.«
Uschi verzog das Gesicht, als eine weitere Schmerzwoge sie traf.
»Ihr hört sie nicht nur, richtig?«, fragte Dylan. »Ihr spürt sie auch.«
Die Zwillinge nickten mit verkniffenen Gesichtern.
»Ich verstehe es aber immer noch nicht ganz. Unter Telepathen habe ich mir Menschen vorgestellt, die die Gedanken anderer hören oder lesen oder was auch immer können. Sie können es aber auch bleiben lassen. Warum verschließt ihr euch also nicht gegen Ankas Qualen?«
Die Schwestern lachten trocken auf. »Wir blocken sehr wohl ab! Aber das ist, als würde dich jemand verprügeln. Wenn du die Augen schließt, siehst du die Faust zwar nicht mehr auf dich zukommen. Wenn sie dich trifft, tut es trotzdem weh. Wer weiß, was geschehen würde, wenn wir unseren Geist für sie öffnen!«
Rhett trat von einem Fuß auf den anderen. Ihm war leicht anzusehen, dass er genug von der Plauderei hatte. Er wollte endlich etwas unternehmen - und
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