0934 - Der Arm des Monsters
den weichen Schuhen, die Mokassins glichen, dann nahm sie vor der Konsole mit dem Spiegel Platz und legte Makeup auf.
Sie sah blaß aus. Sie fand sich überhaupt nicht mehr hübsch oder etwas exotisch aussehend, wie man ihr schon des öfteren gesagt hatte. Für sie war alles vorbei. Das Leben brachte nicht mehr das, was sie sich gewünscht hatte, und nicht mal über eine neue Rolle konnte sie sich freuen.
Ihr Blick fiel auf die Schere. Die lag auf dem Schminktisch, direkt neben dem Karton mit den Wattetüchern. Wie die Kralle eines Geiers zeigten ihre Finger nach unten, als sie nach der Schere packten. Sie hob sie an, änderte den Winkel, damit die beiden Zusammengelegten Hälften jetzt auf den linken Arm wiesen, und zwar dort, wo sich die Augen gezeigt hatten. Sollten sie jetzt wieder erscheinen, war sie fest entschlossen, sich die Schere in den Arm zu rammen.
Aber die Augen zeigten sich nicht. Ihr Arm war jetzt völlig ruhig und schmerzfrei. Es gab kein Rieseln, das ihn durchzuckte, er blieb ebenso normal wie auch der rechte.
»Scheiße!« keuchte Angela. Die Schere in ihrer rechten Hand wurde schwer. Sie legte sie wieder weg. »Ich bin ein verdammter Feigling! Ich bin feige und traue mir nichts zu. Ich schaffe es einfach nicht, mir eine Wunde zuzufügen, um herauszufinden, ob dieser Arm ebenso blutet wie jeder andere. Ich bin…«
Die Klingel unterbrach ihren Monolog. Angela schreckte kurz zusammen, dann zeigte sich nach langer Zeit zum erstenmal wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht, denn sie wußte, daß es Jane Collins war, die sich angemeldet hatte.
Mit eiligen Schritten verließ die Frau das Zimmer, um die Tür zu öffnen.
***
Jane hatte einige Male anerkennend genickt, als sie auf dem privaten Parkplatz aus dem Wagen gestiegen war und sich umgeschaut hatte.
Hier konnte man leben. Das Haus war neu, aber es war nicht wie ein Kasten gebaut worden. Man hatte den alten, schon historischen Gebäuden Rechnung getragen, die hier in Belgravia zu finden waren, und versucht, sich diesem Baustil anzupassen.
Es war gelungen. Eine auf alt gemachte Fassade inmitten des dicht bewachsenen Gartens. Große Fenster gehörten zu den Wohnungen ebenso wie kleine Erker zu den oberen Etagen. Die Haustür bestand nicht aus Glas und Aluminium, sondern aus Holz, war auch nicht verschrammt oder bemalt worden. Das tat man in dieser Gegend nicht.
Über einen mit kleinen Steinen bestreuten Weg war die Detektivin auf das Haus zugegangen und hatte mit einem Blick auf das Klingelbrett festgestellt, wo Angela wohnte.
Im Erdgeschoß. Rechts neben der Tür, wo sich zwei hohe Fenster befanden. Hinter denen hatte sich nichts bewegt. Sicherlich hielt sich die Frau in einem anderen Raum auf.
Jane schellte. Sehr bald schon wurde ihr geöffnet. Sie betrat einen breiten Flur, in dem sich die beiden Materialien Stein und Holz gut vertrugen. Alles wirkte gediegen, war nicht zu hell, bis auf den Anstrich an den Wänden, der aber auch kein kaltes Weiß zeigte, sondern mehr ein beigefarbenes.
Angela stand schon in der Tür. Das erste Treffen hatte die beiden Frauen in einem Café zusammengeführt, so war die Umgebung für Jane Collins neu. Angela konnte sich nicht mehr beherrschen und umarmte die Detektivin.
»Himmel, bin ich froh, daß Sie gekommen sind, Jane! Ich bin wirklich froh.«
»Ist denn etwas passiert?«
Angela trat zurück und gab den Weg frei. »Nein, nichts, aber das hat nichts zu sagen. Kommen Sie erst einmal rein.«
Die Wohnung war groß und auch luftig. Das mochte daran liegen, daß es kaum Türen gab, nur Durchgänge. Ein Raum ging in den anderen über.
Nur beim Bad und bei Schlafzimmer verhielt es sich normal. Allerdings auch beim Gästeraum-, in dem Jane ihre Tasche abstellte. Angela entschuldigte sich für die spartanische Einrichtung, doch Jane winkte ab.
»Ein Bett reicht mir zumeist. Hier habe ich sogar noch einen Schrank und einen alten Sessel.«
»Er stammt von meinen Eltern.«
»Ein schönes Stück, wirklich.«
»Danke.«
Sie betraten den großen Wohnraum, der eigentlich aus drei Teilen bestand: Wohnzimmer, Arbeitszimmer und auch Küche. So konnte sich die Person, die kochte, auch mit den Gästen unterhalten und war nicht von ihnen getrennt.
Eine Sitzgarnitur aus weißem Leder. Moderne Grafiken an den Wänden.
Ein gelber Teppich mit blauen Halbmonden. Eine Glasvitrine mit Auszeichnungen, die das Ehepaar erhalten hatte, Schränke aus der Jugendstilzeit und natürlich einen Fernseher sowie eine
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