0934 - Der Arm des Monsters
Musikanlage.
Jane war bis zum Fenster vorgegangen, um einen Blick nach draußen zu werfen.
Zur Wohnung gehörte eine kleine Terrasse, auf der es im Sommer sicherlich gemütlich war. Um diese Jahreszeit war es dort jedoch zu kalt.
Die Möbel hatte Angela noch nicht weggeschafft. Der Tisch, die vier Stühle und eine Liege standen dort. Auf das helle Holz fielen die Strahlen einer sehr blassen Sonne, die es nicht geschafft hatte, alle Wolken zu vertreiben, denn der Himmel war noch von rauchigen Wolkenschleiern bedeckt. Das Grün der Büsche war satt. Wie kleine Strahler standen die Sonnenblumen dazwischen. Lampenputzergras ragte in die Höhe, und Bambus flankierte einen Teich, der zahlreiche Insekten anzog. Sie schwirrten darüber hinweg und würden bald zu einer Beute der Frösche werden.
Jane drehte sich wieder um. »Schön haben Sie es hier, Angela.«
Die Angesprochene hob nur die Schultern.
»Nicht?«
»Ja, doch, aber Sie können sich vorstellen, daß ich das nicht mehr so empfinde.«
»Das ist richtig.« Jane schlenderte zu einem Sessel und ließ sich nieder.
»Ihre Stimme klang am Telefon nicht eben normal, sondern sehr hektisch, schon überdreht. Ist etwas geschehen, was Sie am Telefon nicht sagen wollten?«
»Nein, das nicht.« Auch Angela setzte sich. Allerdings nicht in einen Sessel, sondern auf dessen Kante, von der aus sie besser in die Höhe kommen konnte. »Es ist einfach die Unsicherheit und die Furcht, die mich überfallen haben. Verstehen Sie?«
»Nicht so ganz. Wovor haben Sie sich gefürchtet?«
Angela atmete tief durch. »Eine direkten Grund hat es nicht gegeben. Man hat mich nicht bedroht. Ich bin nicht körperlich angegriffen worden, ich fürchte mich einfach nur davor, allein zu sein. Besonders bei Dunkelheit. Ich möchte diese Nacht nicht allein in meinem Haus verbringen, Jane. Können Sie das verstehen?«
»Ja. Sie haben viel durchgemacht. Ihr Arm ist…«
Angela unterbrach Jane mit einem Knurren. »Es ist nicht mein Arm.« Sie streckte ihn aus. »Es ist ein anderer Arm. Ich spüre es immer deutlicher.«
»Wenn Sie das sagen…«
»Glauben Sie mir nicht?«
Jane winkte ab. »Bitte, Angela, das hat nichts damit zu tun, ob ich Ihnen glaube oder nicht. Versuchen Sie, ruhig zu bleiben, vergessen Sie die Aggressivität. Ich weiß einfach zuwenig über Sie. Ich weiß auch nicht, wie es zu Ihrem Verlust kam und zu dem Annähen des alten Arms. Das sollten Sie mir erzählen.«
»Ja, werde ich auch.«
»Dann fangen Sie an, bitte.«
»Nein, möchte ich nicht.« Sie schaute sich um wie eine Fremde. »Nicht hier. Ich hatte mir gedacht, daß wir etwas trinken gehen, eine Kleinigkeit essen und später wieder zurückkehren. Es gibt hier einige nette Lokale, wo wir ungestört sind und trotzdem nicht allein. Können Sie das verstehen?«
»Natürlich.«
»Sollen wir jetzt gehen?«
Jane lachte. »Gern. Wenn ich ehrlich sein soll, dann habe ich auch etwas Hunger.«
»Gut, ich hole mir nur eine Jacke.«
Angela verließ den großen Raum. Jane blieb allein zurück. Es war plötzlich sehr still geworden, und sie geriet ins Grübeln. Sie kam mit der Verhaltensweise ihrer Klientin nicht zurecht. Noch immer stand nicht fest, wer sie bedrohte, und ihr Arm war völlig normal geblieben.
Angela Maitland erschien wieder. »Können wir?« fragte sie.
»Gern«, sagte Jane. »Zuvor möchte ich nur eben eine Freundin anrufen und ihr sagen, daß ich hier bin.«
»Tun Sie das.«
***
Es war ein sehr intensives Gespräch zwischen den beiden Frauen geworden. Jane hatte im Laufe der Zeit viel über ihre Auftraggeberin Angela Maitland erfahren, nicht nur über sie persönlich, sondern auch über deren Mann, der für Angela, obwohl beide verheiratet waren, ein Fremdkörper geblieben war. Sie kam sich vor, als würden sie auch in der Ehe beide nur ihre Rollen spielen, und damit kam sie kaum zurecht.
»Würde er Ihnen denn glauben, Angela? Steht er auf Ihrer Seite?«
»Das weiß ich nicht.« Sie hob die Schultern und schaute durch die Glaswand des kleinen Wintergartens nach draußen, wo es dämmerte. »Ich weiß es wirklich nicht. Dorian war immer nett zu mir. Er hat mich auch jeden Tag besucht, aber ich hatte eher den Eindruck, als müßte er sich einer Pflichtübung unterziehen. Man spürt es doch, ob jemand mit dem Herzen dabei ist oder nicht.«
»Da haben Sie wohl recht.«
»So ist es mir und meinem Mann ergangen, aber ich will ihn nicht schlecht machen, obwohl ich froh bin, daß er sich in den nächsten
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