0934 - Der Arm des Monsters
schon gut, ich sage Ihnen die Wahrheit. Wir wollten in diesem Haus jemanden besuchen.«
»Wen?«
»Eine Frau namens Angela Maitland.«
Mit einem Lachen hatte Shao nicht gerechnet und war deshalb überrascht, als sie es hörte. »Das ist aber interessant. Kennen Sie denn Angela Maitland?«
Shao sah die Klemme wieder enger werden. So wie dieser Mann gesprochen hatte, schien er mehr zu wissen, und sie mußte jetzt verdammt vorsichtig mit ihren Worten sein. »Kennen ist zuviel gesagt. Wir haben von ihr gehört.«
»Schön. Durch wen?«
»Durch eine Freundin.«
»Schon besser. Wie heißt sie?«
Shao wußte nicht, ob sie Janes Namen nennen und sie damit bloßstellen sollte. Sie überlegte. Es kam auf die nächste Antwort an, das wußte sie genau.
»Hat sie keinen Namen?«
»Doch.«
»Und?«
»Sie werden die Frau nicht kennen.«
Bisher hatte sich der Fremde entspannt gezeigt, das aber legte sich urplötzlich.
Auf einmal verhärtete sich sein Gesicht. »Glaube nicht, daß du dir alles erlauben kannst.« Er bewegte seine Waffe nur um eine Idee, und dann schoß er…
***
Jane Collins hatte die Terrasse betreten, und sie hatte den Blinden angesprochen.
Der Mann war stehengeblieben, um zu lauschen. Er wußte nicht, was er mit dieser Stimme anfangen sollte. Seinen rechten Arm hatte er gehoben, die Finger bewegten sich nach vorn, aber eine gekrümmte Hand konnte dort nichts finden, wo nichts war.
»Hast du mich verstanden?« fragte Jane. Sie ging näher auf den einarmigen Blinden zu.
Der hörte es, tat aber nichts. Er hatte nur den Kopf gedreht und sein Gesicht in Janes Richtung gewandt. Die Detektivin wußte nicht, was sie mit diesem Mann anstellen sollte. Es war ihr auch nicht möglich, ihn einzuschätzen.
Sollte sie ihn als direkten Feind ansehen oder als eine traurige und zugleich tragische Gestalt, wie sie ja Frankensteins Monster auch gewesen war. Mitleid oder Abscheu? Noch wies nichts daraufhin, in welche Richtung sich die Waage neigte. Aber ihre Furcht war zurückgedrängt worden, und Jane trat wieder näher an ihn heran. Sie überwand auch die letzte Hemmschwelle der Furcht und konzentrierte sich besonders auf seinen Mund.
Kein kondensierter Atem, im Gegensatz zu ihr. Da stimmte etwas nicht.
Sie mußte es mit einem Untoten zu tun haben, einem Zombie, der aber trotz allem anderes reagierte als andere lebende Leichen. Er war nicht darauf versessen, die Detektivin anzugreifen, er blieb nur schwankend auf der Stelle stehen und wußte nicht, in welche Richtung er seinen Kopf drehen sollte.
»Kannst du sprechen?« fragte Jane.
Die Stimme zumindest hatte er gehört, aber eine richtige Antwort konnte er nicht geben. Aus seinem offenen Mund strömten merkwürdige Laute.
»Du suchst etwas, nicht wahr?«
Nickte er? Oder war es nur ein unbewußtes Zucken gewesen?
»Du suchst deine Augen!«
Er schwieg.
»Du suchst auch deinen Arm, den man dir genommen hat, nicht wahr?«
Wieder wartete Jane vergeblich auf eine Antwort. Aber sie war nicht mehr interessant für die Gestalt geworden, denn die wandte sich wieder der Scheibe zu, und Jane wußte sehr genau, was der Mann vorhatte. Er würde zu Angela gehen, um sich dort das zu holen, was ihm weggenommen worden war.
Jane überlegte. Sie mußte schnell eine Lösung finden. Schießen oder nicht?
Ihre rechte Hand mit der Waffe zuckte schon hoch, doch sie ließ sie wieder sinken. Irgendwie brachte sie es nicht übers Herz, auf die Gestalt zu schießen, die selbst litt. Damit wäre dieser ungewöhnliche Zombie zwar erledigt gewesen, aber die Hintergründe des Falls wären nie aufgeklärt worden.
Es mußte eine andere Möglichkeit geben, auch wenn sie spektakulär war und Jane Collins erst über ihren eigenen Schatten springen mußte, weil sie so etwas noch nicht getan hatte.
Die Detektivin versuchte es noch einmal mit Reden und sagte: »Komm her zu mir, du kannst mir vertrauen.«
Er hatte die Stimme gehört. Auf seinem Weg zum Fenster stockte er für einen Moment, und Jane hoffte, daß er den Kopf drehte, aber das ließ er sein. Er ging statt dessen weiter. Und Jane setzte ihren Vorsatz in die Tat um. In einem schrägen Winkel ging sie dem anderen entgegen. Nur kurz spürte sie den Schauer, als sie sich in seiner direkten Nähe aufhielt.
Dann aber umging sie ihn, und ihre Hand näherte sich der anderen.
Noch schlenkerte er den rechten Arm beim Gehen, aber im nächsten Augenblick hielt Jane Collins sein Handgelenk umklammert. Sie war jetzt tatsächlich über den
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