0934 - Der Schlüssel zur Quelle
besprochen hatten.
»Mir macht noch etwas ganz anderes Sorgen«, fuhr Kathryne fort. »Bisher war es immer so, dass wir uns nicht allzu weit voneinander entfernen konnten, Anne und ich. Aber jetzt bin ich in Schottland, sie wahrscheinlich noch in Frankreich. Das wäre früher unmöglich gewesen! Heißt das, dass wir uns voneinander lösen? Dass wir vielleicht irgendwann einmal unabhängig voneinander leben können, so wie unsere…« Plötzlich brach sie ab.
Rhett blinzelte. »Wie eure was?«
»So wie echte Schwestern.«
Eine ausweichende Antwort? Er beschloss, es auf sich beruhen zu lassen. Vielleicht spielte ihm ohnehin nur seine Fantasie einen Streich. »Wäre das so schlimm?«, fragte er leise.
»Nein. Ja. Ich weiß auch nicht. Einerseits wäre ich die Belastung los, sie in mir halten zu müssen, und könnte mich auch außerhalb einer M-Abwehr frei bewegen. Andererseits hätte ich die Kontrolle über eine Mörderin verloren. Auf eine gewisse Art ginge jedes ihrer zukünftigen Verbrechen dadurch auch auf meine Kappe.« Sie seufzte. »Aber lass uns über die Zukunft nachdenken, sobald sie Gegenwart geworden ist. Und du, hör auf, über Vergangenes zu grübeln. Du kannst es nicht mehr ändern!«
»Wer vom Pferd fällt, sollte gleich wieder aufsteigen«, murmelte Rhett. »Aber ich… Ach, Mist! Wenn ich Vergangenes Vergangenes sein lasse, habe ich das Gefühl, als gäbe ich mir mehr Freiraum, als ich verdiene. Dylans Entführung ist meine Schuld, zumindest zum Teil, und ich kann einfach nicht zulassen, dass ich diesen Fehltritt ignoriere und weitermache, als wäre all das nicht auf meinem Mist gewachsen!«
»Verständlich«, sagte Kathryne. »Meinst du, mir gefällt es zu wissen, dass Anne vor mir stand und ich sie wieder ziehen ließ? Wer weiß, was sie gerade anstellt? Was immer es ist, es geht auch auf mein Konto. Und dennoch: Ändern kann ich es nur, wenn ich handele. Wie gesagt: nach vorne schaue.«
»Du klingst fast schon wie Zamorra«, sagte er leise und sah ihr ins Gesicht. Das Licht der Sterne funkelte in ihren Augen und beruhigte ihn. Etwas.
Ein leises Lächeln umspielte seine Mundwinkel. »Also warten wir weiter?«
»Was sonst?«, sagte sie und nickte. »Zamorra und Gryf sind ebenfalls unterwegs, suchen nach dem Versteck des Druidenvampirs. Und wir stehen hier und halten die Front.«
Rhett hob eine Braue. »Sobald es zu einer wird«, sagte er und seufzte leise.
***
Zamorra!
Jenny Moffat sah Omar Little in die kleinen, braunen Augen, als gäbe es darin eine Antwort auf die vielen Fragen, die ihr durch den Kopf gingen. Fragen, die mit Wie anfingen, mit Warum und Woher. Fragen, auf die ihr Little vermutlich nicht einmal eine Antwort geben konnte, wenn er es gewollt hätte.
Er wollte es aber nicht. Das verriet ihr längst nicht nur sein überheblicher Gesichtsausdruck.
Trotzdem: Er hat Zamorra gesagt. Zamorra!
»Kamera läuft«, sagte Mike, der im hinteren Bereich der kleinen Zelle stand. Er klang wenig begeistert. »Jenny Moffats Zeitverschwendung, die Erste.«
Okay, er war wenig begeistert. Aber das machte nichts, durfte sie momentan nicht kümmern… Auch wenn sie Mikes Einwände verstand, Jenny brauchte Gewissheit. Erst dann konnte sie zur Tagesordnung zurückkehren. Sobald sie sich vergewissert hatte, dass die Kulissen der Wirklichkeit noch standen. Denn sie war ein gebranntes Kind - und auch wenn sie sich seit drei Monaten etwas anderes einzureden versuchte, scheute sie das Feuer. Selbst das hypothetische.
»Gut«, murmelte sie, »dann mal los.« Ein Räuspern, ein Kontrollblick aufs Rotlicht der Kamera auf Mikes Schulter. Und mit einem mentalen Klick wurde das Zahnpastalächeln eingeschaltet, das sie für derartige Moderationsmonologe reservierte.
»Ich befinde mich hier in der Zelle von Mister Omar Little, Häftling C-1701 in der Huntsville Unit, der größten der sechs Huntsviller Haftanstalten. Mister Little, ein verurteilter Drogendealer und Mörder, sitzt seit mehreren Jahren ein und sieht, wie die Anstaltsleitung mir gegenüber andeutete, einer baldigen Hinrichtung entgegen, sofern sein Berufungsverfahren erfolglos verläuft, und niemand hier erwartet einen Sieg. Nicht wahr, Mister Little?«
Hank Rooney, der im Gang an der offenen Zellentür stand und das »Interview« beobachtete, das er wider besseres Wissen genehmigt hatte, schnaubte leise.
Omar schwieg. Grinste einfach. Alles andere hätte Jenny auch überrascht.
»Doch sein Strafregister ist nicht das Thema, worüber
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