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0936 - Schattentheater

0936 - Schattentheater

Titel: 0936 - Schattentheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Picard
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Bedürfnis fühlte, hinter der Bühne, in der Garderobe, nachzusehen, ob mit Ieyasu alles in Ordnung war und auch sonst alles mit rechten Dingen zuging.
    Im Laufe der Jahre, in denen er immer wieder mit Dämonengeschichten zu tun bekommen hatte, sei das durch die deBlaussec-Stiftung oder durch seine Tante Ichiko, hatte Minamoto sich angewöhnt, auf diesen bestimmten sechsten Sinn zu achten, der ihm sagte, wenn etwas nicht stimmte. Er ließ Julie Deneuve stehen, wo sie war - er vertraute einfach darauf, dass sie wusste, was sie tat und sich auch notfalls ihrer Haut wehren konnte - und rannte in den Gang hinein, der am Theatersaal vorbei zu den Garderoben führte.
    Im Gang war es dunkel, die Tür zu den Garderoben geschlossen. Minamoto verlangsamte seinen Schritt. Seine Sinne schrien geradezu das Wort Gefahr und so schlich er sich jetzt an die Tür, die ihn zu den Garderoben und zum Eingang des hashigakara , dem überdachten Bühnenaufgang, führen würde. Er wollte sie schon öffnen, als er dahinter seltsame Geräusche hörte. Eine Art leises Heulen oder Weinen, das Minamoto eine Gänsehaut auf die Arme trieb. Er öffnete die Tür langsam, er wollte unbemerkt eintreten.
    Aus der jetzt immer größer werdenden Türöffnung fiel ein wenig Licht in den Flur. Offenbar war nur eine kleine Leuchte über einem der Spiegel angeschaltet. Davor saß ein Bündel Mensch in einem blauweißen Haori, einer Jacke im Samurai-Schnitt, mit einem roten Wappen auf dem Rücken. Wilde schwarze Haare fielen der Gestalt über die Schultern.
    Ieyasu-san. »Koichi-kun(kun: vertraute Anrede, die mit dem Vornamen benutzt wird. Findet meist bei Jugendlichen untereinander Verwendung. Zeigt hier, dass sich Koichi Ieyasu und Masaburo Minamoto schon seit der Kindheit kennen)?«, rief Minamoto.
    Doch er bekam keine Antwort. Stattdessen schien das Weinen nur intensiver zu werden. Minamoto ging leise auf die Gestalt zu. Jetzt konnte er auch gemurmelte Worte hören. »Ich will aufwachen. Ich will nicht mehr. Lass mich gehen. Sucht euch jemanden anders. Ich bin ich. - Nein, lass mich, lasst mich beide! Oder seid ihr mehr als nur einer? Seid ihr Geister aus der Yomi, die mich fangen, mich verschlingen wollen? Nein, lasst mich, verschwindet!«
    Ieyasu raufte sich die Haare und riss sich schließlich die Perücke vom Kopf. Als Minamoto noch einmal näher herankam und ihm seine Hand auf die Schulter legte, fuhr er herum und riss sich los.
    »Lasst mich!«, zischte er. »Ich habe eine große Aufgabe und brauche die Energie! Jeden Lebensfunken brauche ich!«
    Minamoto fuhr zurück. »Koichi! Ich bin es, Masaburo!«
    Koichi Ieyasus Züge verzerrten sich zu einem hässlichen Grinsen. »Ich bin nicht Koichi. Ich bin der, der ihn beherrscht. Der ihn nutzlose Leben beenden lässt, damit sie wenigstens noch einen geringfügigen Zweck haben, nämlich den, mich zu nähren.« Wieder verzerrte sich zu Minamotos Entsetzen das Gesicht des Theaterdirektors. Das gemeine und unendlich boshafte Lächeln machte einer arroganten und überlegenen Miene Platz. Ieyasu schien auf einmal sicher, dass die Welt nur dazu da war, um ihm zu dienen. Und Minamoto hatte für einen Moment das Gefühl, vor der Größe und der gewaltigen Macht seines Freundes zu vergehen.
    »Das Leben jedes Einzelnen verblasst vor der Aufgabe, die getan werden muss.« Selbst die Stimme Ieyasus hallte jetzt wie in einem Echo, das es in der Garderobe gar nicht geben konnte. »Und diese zwei hier dienen mir dazu. Verschwinde, Geschöpf. Wage es nicht, dich mir in den Weg zu stellen. Du wirst es nicht aufhalten können. Nichts kann mich aufhalten, die Aufgabe zu tun, zu der ich in die Welt gekommen bin. Dazu beherrsche ich zunächst noch diese beiden, doch es wird die Zeit kommen, da ich mich zu erkennen gebe. Und dann wird die Welt erzittern angesichts meiner Macht.«
    Minamoto starrte Ieyasu an. »Koichi?«, fragte er dann leise. »Hörst du mich?«
    Wieder änderte sich der Gesichtsausdruck des Schauspielers und spiegelte unendliches Leid wider. Der Körper des Theaterdirektors krümmte sich und er brach unter einem lang gezogenen Schluchzen zusammen. Minamoto stürzte vor, um ihn aufzufangen.
    In diesem Moment erwachte Ieyasu. Ein verzerrter, grausamer Ausdruck lag auf seinem Gesicht, es sah aus wie eine der Masken, die der Schauspieler immer wieder trug. Er streckte seine Hände aus, als seien ihm daran lange Klauen gewachsen, doch sie waren nicht sichtbar. Minamoto wollte zurückweichen, doch Ieyasu hatte ihn

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