0938 - Die Blutgasse
Jedenfalls war das Ding ziemlich breit, und er hatte seine Arme auf die Lehnen gestützt. Die bleichen Finger schauten aus den Öffnungen wie lange Vogelklauen hervor. Sie umfaßten die Lehnen, als wäre diese Gestalt nicht lebendig, sondern nur eine Wachsfigur.
Ich runzelte die Stirn.
Der Vergleich war nicht schlecht. Es konnte durchaus sein, daß ich hier keinen echten Will Mallmann sah.
Von seinem Gesicht leuchtete ich weg in Richtung Schoß. Da war mir schon vorher etwas aufgefallen. Jetzt sah ich es deutlicher. Auf dem Schoß lag ein kleiner Kassettenrecorder, der von einer Batterie gespeist wurde. Bevor ich ihn anstellte, hielt ich das Kreuz vor das rote D.
Es passierte nichts. Kein Schrei, kein Zucken. Die Masse schmolz nicht unter meiner Handfläche weg, sie blieb fest.
Ich schüttelte den Kopf. Nach wie vor war diese Gestalt für mich ein Rätsel.
Licht in das Dunkel konnte das kleine Band bringen, und ich schaltete den Recorder ein.
Zunächst hörte ich nichts, nur das leise Summen, bis plötzlich die Stimme da war.
Schon beim ersten Wort erkannte ich sie. Die Stimme gehörte zweifelsohne Will Mallmann. Sein im Laufe der Zeit rauh gewordenes Organ war nicht zu überhören, auch wenn er seine Botschaft nur flüsternd an die Ohren der Zuhörer schickte.
Ich bin immer bei euch, auch wenn ihr mich nicht seht. Ich habe euch persönlich geholt. Ich habe euer Blut getrunken, ich habe mich als Denkmal zu euch gestellt, damit ihr wißt, wer euer Herr und Meister ist.
»Ich habe euch versprochen, euch meine Welt zu zeigen, die sehr bald auch die eure sein wird. Die dunkle Vampirwelt, in die ihr euch zurückziehen könnt. Aber noch ist es nicht soweit. Ihr werdet noch eure Prüfungen bestehen müssen und das Blut der Menschen trinken. Kehrt zu denen zurück, die ihr verlassen habt. Zeigt euch ihnen, saugt das Blut der Menschen, legt den Keim, denn dann erst seid ihr würdig, meine Soldaten zu werden und an meiner Seite zu kämpfen. Ich habe euch das Zeichen bereits gegeben. Ihr könnt losgehen und das Blut trinken. Mein heiter Toby Reagan wird euch führen. Er wird euch absichern, euren Rücken decken, damit ihr immer wieder zurückkehren könnt. Erst wenn sich jeder einen anderen geholt und ihn zu seinem Wiedergänger gemacht hat, seid ihr würdig, meine Welt zu betreten. Und wenn ihr mich sehen wollt, öffnet die Tür zu dem Zimmer, in dem ich sitze. Da seht ihr mein getreues Abbild. Freut euch darauf, wenn ich euch besuche. Bei meinem abermaligen Kommen werdet ihr alles so erleben, wie ich es euch gesagt habe. Viel Glück…«
Die Worte waren verstummt, das Band lief noch weiter, aber nur das leise Rauschen war zu hören.
Ich schaltete es ab und saugte den Atem tief ein. Mein Herz schlug schneller, und ich dachte daran, daß wir wirklich im letzten Augenblick erschienen waren. Will Mallmann scheute sich nicht, zu immer neuen Tricks zu greifen, um seine Vampirwelt mit untoten Gestalten zu füllen.
Das war vorbei.
Ich wurde plötzlich zornig, packte die Wachsgestalt und riß sie hoch.
Dann wuchtete ich sie zur Seite und schleuderte sie gegen die Wand des Zimmers. Der Krach störte mich nicht. Ich sah, wie sie zu Boden fiel und dort liegenblieb. Hätte ich einen Schneidbrenner gehabt, ich hätte sie zerschmolzen und dabei zugeschaut. So aber ließ ich sie einfach liegen.
Geahnt hatte ich es schon. Immer wenn ich in der letzten Zeit auf Vampire getroffen war, hatte Dracula II im Hintergrund die Fäden gezogen. Er brauchte Helfer, er brauchte Soldaten, um seine großen Pläne in die Tat umsetzen zu können.
Die Vampirwelt kannte ich. Mit viel Glück war ich ihr entwischt. Anderen würde es nicht so gut gehen, denn sie würden dort in den dunklen Schattenwelten alter Häuser und Gräber dahinsiechen, wobei ihre Schreie nach Blut diese düstere Welt erfüllten.
Das ging mir durch den Kopf, als ich mich rasch auf den Weg nach unten machte. Ich wußte nicht, was dort geschehen war, das meiste hatte ich nicht mitbekommen, aber die von der Straße hochdringenden Geräusche hatten sich alles andere als gut angehört…
***
So ist es also, wenn ein Messer in einen Körper eindringt, dachte Ed Moss. Er spürte die Klinge. Er konnte ihren Weg genau verfolgen, und er wunderte sich, daß er keinen Schmerz empfand.
Das Messer war nicht kalt, die Wärme blieb. Ed merkte auch den Gegendruck des Blutes, und er sah, wie sich der Schatten als Wolke über ihn senkte, die aber nicht so dunkel war, denn in ihr
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