094 - Der Teufel von Tidal Basin
Rudd hält es für besser, daß sie in ein Krankenhaus oder zu einer Unfallstation gebracht wird.«
Mason gab seine Zustimmung nur widerwillig. Diese Frau war die Hauptzeugin, und er ließ sie nur ungern aus den Augen.
Rudd trat mit wichtiger Miene zu ihnen.
»Ich habe ein Bett im Zentralkrankenhaus bestellt. Natürlich sagten sie mir zuerst, sie könnten niemand mehr aufnehmen, aber als ich dann meinen Namen nannte . . .« Er lächelte und schaute Marford gönnerhaft an. »Wenn Sie gekommen wären, mein lieber Junge, wäre der Bescheid sicher anders ausgefallen.«
»Ich hätte gar nicht lange gefragt, sondern wäre einfach mit der Kranken hingefahren. Dann wäre ihnen nichts anderes übriggeblieben, als ein Bett für sie bereitzustellen.«
Dr. Rudd war ärgerlich.
»Ja, ja, aber so macht man das nicht. Es gibt doch auch in unserem Beruf gewisse Höflichkeitsformen, an die man sich halten muß. Und der Chefarzt ist ein Freund von mir.« Er beschäftigte sich nicht mehr mit Marford und wandte sich an Mason. »Ich habe auch einen Krankenwagen bestellt, er wird gleich kommen.«
»Haben Sie den Mann noch einmal untersucht?« fragte der Chefinspektor.
»Welchen Mann?« Dr. Rudd runzelte die Stirne. »Ach so, Sie meinen den Toten? Ja. Sergeant Elk war dabei und hat ihn durchsucht. Ich habe ein oder zwei Entdeckungen gemacht, die Ihnen vielleicht nützlich sein werden. Zum Beispiel hat er eine Beule an der linken Kinnseite.«
Mason nickte.
»Er hat sich doch an einer Schlägerei beteiligt. Dr. Marford hat das beobachtet.«
Rudd wurde in diesem Augenblick fortgerufen und entfernte sich mit einer Entschuldigung.
Die Frau auf dem Bett gab noch immer kein Lebenszeichen von sich, und Marford zeigte Mason zwei kleine Einstiche am linken Unterarm.
»Sie sind erst vor kurzem gemacht worden. Aber sonst habe ich keine Anzeichen dafür gefunden, daß sie Morphinistin ist. Ich kann keine anderen Einstiche finden, und die Tatsache, daß das Morphium eine fast tödliche Wirkung auf sie hat, weist eigentlich darauf hin, daß sie das Betäubungsmittel erst seit kurzer Zeit nimmt.« »Wann wird sie wohl wieder zum Bewußtsein kommen?«
»Das kann ich nicht sagen. Augenblicklich ist sie nicht in der Verfassung, daß man ihr Belebungsmittel geben könnte. Aber vielleicht wissen die Leute im Krankenhaus besser Bescheid.«
»Waren Sie schon einmal in eine Mordaffäre verwickelt?«
»Nein, es ist das erstemal.« Marford lächelte.
»Warum üben Sie eigentlich Ihre Praxis in einer so traurigen Gegend aus, Doktor? Können Sie Ihre Klinik nicht in einer schöneren Umgebung aufmachen, wo es nicht so schmutzig ist?«
Marford zuckte die Schultern.
»Das ist mir gleich. Ich brauche für mich persönlich sehr wenig, und hier ist meine Tätigkeit am nötigsten. Ein Krankenhaus muß da stehen, wo es gebraucht wird. Und ich habe keine Sehnsucht nach vornehmen Leuten, die langweilen mich nur.«
»Haben Sie sich eine Theorie über diesen Mord zurechtgelegt?«
Mason sah den Arzt freundlich an, aber Marford antwortete nicht sofort.
»Ja«, sagte er nach einer Pause. »Meiner Meinung nach ist das Ganze ein Racheakt. Der Mann wurde nicht aus Habgier ermordet; sein Tod sollte wahrscheinlich ein Unrecht ausgleichen, das er einmal begangen hat. Die Tat war auch nicht von langer Hand vorbereitet; sie wurde in dem Augenblick verübt, in dem sich eine günstige Gelegenheit bot.«
Mason schaute ihn verwundert an.
»Wie kommen Sie denn darauf?«
»Ich denke es mir nur«, erwiderte Marford lächelnd. »Sonst müßte man annehmen, daß jemand diesen Mann in der bestimmten Absicht hergelockt hatte, ihn zu töten. Es hätte aber ein großangelegter Plan dazu gehört, ihn ausgerechnet in diese Gegend zu bringen.«
Mason stand mit gespreizten Beinen vor ihm und hatte die Hände in die Hüften gestemmt.
»Sie sind doch nicht etwa einer der Amateurdetektive, von denen man soviel liest? Ein Mann, der die Polizei im neununddreißigsten Kapitel beschämt, weil er allein die richtige Spur verfolgt hat?« Er klopfte Marford unerwartet auf die Schulter. »Aber was Sie gesagt haben, klingt sehr vernünftig. Nicht jeder Arzt denkt so sachlich und ruhig wie Sie. Sie haben ganz recht. Ihre Theorie stimmt mit der meinen vollkommen überein. Schalten Sie eigentlich die Möglichkeit, daß Lamborn den Mann ermordet haben könnte, vollständig aus?«
»Ja. Das kommt gar nicht in Frage«, erklärte Marford mit Nachdruck.
Mason nickte.
»Im Vertrauen kann ich es
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