094 - Die Schleimigen von Ghost Valley
zweiter Schleimiger! Er richtete sich
auf, hatte sich hier im Halbdunkeln zwischen den Trümmern verborgen gehalten.
Er glich dem anderen in allen Einzelheiten. Der gedrungene, massige Oberkörper
war der gleiche, der dicke runde Kopf, an dem man die Sinnesorgane nicht
richtig wahrnehmen konnte, das zerfetzte, Fäulnis zeigende Hemd und der
Lendenschurz, der auf den schmierigen Schenkeln lag. Und doch unterschied sich
dieses Monstrum in einer Hinsicht von dem anderen: Es war bewaffnet. Es trug
einen uralten, völlig verschimmelten Bogen in der Hand. Auf der Sehne lag ein
Pfeil. Den schoss der Unheimliche ab.
Nicht auf Francis Grown , sondern nach
vorn, den beiden Kämpfenden entgegen, die sich dem ersten Monströsen gestellt
hatten. Francis Grown konnte nicht mehr schreien. Sie
taumelte weiter, und über ihre bebenden Lippen kam ein Lallen und Wimmern,
unartikulierte Laute, wie ein Wahnsinniger sie von sich geben würde. Der Pfeil
löste sich sirrend von der Sehne und traf sein Ziel. Das war – Ralf Ortner. Die
Pfeilspitze bohrte sich ihm mitten zwischen die Schultern. Der Deutsche schrie
auf, drehte sich einmal um seine eigene Achse und sackte dann in die Knie. Mit
dem Gesicht fiel er auf den weißen Keramikfußboden, und das aus der tiefen
Wunde sickernde Blut erzeugte schnell eine große rote Lache. Von Grauen erfüllt
warf sich die Amerikanerin gegen die Tür und stürzte in den handtuchschmalen
Korridor, der in die nächste Halle führte. Links und rechts mündeten Türen. Die
Luft war stickig und trocken und die Helligkeit nur noch gedämpft. Francis Grown lief stur geradeaus. Sie wollte nicht in ein anderes
Labor geraten, wie sie richtig annahm, sondern so schnell wie möglich raus aus
der Halle.
Sie nahm an, dass der Ausgang auf der
anderen Seite lag. Der Weg hinter ihr war versperrt, durch einen toten Ralf Ortner,
durch die beiden Monströsen, die die Hölle ausgespuckt zu haben schien. Im
Halbdunkeln sah sie die Umrisse der Tür vor sich. Francis Grown stürzte ihr in großer Verzweiflung, Hoffnung und von Panik durchsetzt entgegen.
Sie wimmerte und schluchzte. Ihr Atem flog, und ihr Herz schlug, als wolle es
ihren Brustkasten sprengen. Wirr hingen ihr die rotblonden, langen Haare in die
Stirn. Francis konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Sie hatte das
Gefühl, Bleiklötze an den Füßen nachzuziehen. Jeder Schritt strengte sie an.
Ihre Lungen stachen. Sie atmete abgehackt und flach. Ihr kam es
vor, als würde es eine Ewigkeit dauern, ehe sie die Tür erreichte. Sie schlug
die Klinke nieder. Die Tür wich nach innen zurück. Francis wunderte sich noch, dass nicht gleißendes Sonnenlicht sie blendete, sondern dass sich tiefes, undurchdringliches Dunkel vor ihr
ausbreitete. Das Mädchen torkelte mechanisch nach vorn, war gar nicht darauf
eingerichtet, stehenzubleiben. Zwei, drei Schritte ging es in die Dunkelheit
hinein. Erst jetzt erreichte der Befehl ihres Gehirns, stehenzubleiben und sich
über den weiteren Weg zu versichern, ihre Gliedmaßen. Doch da war es auch schon
zu spät. Sie verlor den Boden unter den Füßen ...
Aus Francis Growns Kehle drang ein
gurgelndes Stöhnen. Die junge Frau stürzte in die Tiefe, ruderte wild mit Armen
und Beinen, war zu abgestumpft und stand zu sehr unter dem Schock der
Ereignisse, als dass sie die gesamte Tragweite
dessen, was nun geschah, noch begriffen hätte. Sie wusste nicht, wie lange sie fiel und wie tief die Grube war, in die sie stürzte.
Francis Grown kam auf. Es gab ein dumpfes Geräusch.
Ein Ruck ging durch ihren Körper, sie stauchte sich die Beine in den Unterleib
und spürte einen brennenden Schmerz. Keuchend kippte sie nach vorn und konnte
nicht mehr richtig durchatmen. Vor ihren Augen tanzten feurige Kringel, und sie
hatte das Gefühl, in eine Mangel geraten zu sein. Ihr ganzer Körper war ein
einziger großer Schmerz. Es war ein Wunder, dass sie
nicht ohnmächtig wurde. Ein widerlicher Geruch, der ihr bekannt vorkam, stieg
in ihre Nase. So hatte das Ungetüm gerochen ...
Nach Verwesung und Fäulnis. In Francis Growns Unterbewusstsein drang, dass sie sowohl auf harten als auch auf weichen Teilen lag. Das waren – menschliche
Körper?! Ihr fieberndes Gehirn erfasste , dass sie in eine – Leichengrube gestürzt war ...
●
Lucy hob plötzlich den Kopf. »Angie? !« ,
fragte sie flüsternd und lauschte dann erneut. »Da war's schon wieder ... Ich
hab's ganz deutlich gehört. Da hat jemand geschrien .«
»Du hast geträumt«,
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