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0941 - Das unheile London

0941 - Das unheile London

Titel: 0941 - Das unheile London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle
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würde - jemand Lebendigen zumindest.
    Fluchend wuchtete er die Tür auf und hielt sich nicht damit auf, einen Blick hinter sich zu werfen, wo die verzweifelten Schreie immer weniger und leiser wurden.
    Dann war er aus dem Waggon und rammte die Tür wieder ins Schloss. Der kurze Verbindungssteg zwischen den beiden Elementen der U-Bahn schwankte heftig, aber Finsborough sprang einfach drüber hinweg, öffnete die nächste Tür…
    ... und schlüpfte in die Antriebslok.
    Zu seiner völligen Verblüffung sah es so aus, als seien hier noch alle Scheiben heil.
    Der Zugführer kehrte ihm den Rücken zu und hantierte selbstvergessen an seinen Gerätschaften. Weit voraus schimmerte Helligkeit, die nicht von den Scheinwerfern verursacht wurde, deren Licht die Schienen entlang tanzte.
    Das Ende der Strecke.
    Der Bahnhof.
    Die Rettung…
    »Heh!« Finsborough sprang regelrecht auf den Zugführer zu. Er packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn.
    »Sie müssen doch gemerkt haben, was passiert! Sehen Sie hinter sich! Irgendetwas massakriert alle Passagiere! Erhöhen Sie die Geschwindigkeit! Wir müssen raus aus dem Untergrund! Raus aus dem Tunnel! Nur so haben wir…«
    Der Rest dessen, was er hatte schreien wollen, erstarb ihm auf den Lippen.
    Eigentlich geschahen mehrere Dinge gleichzeitig.
    Links bemerkte Finsborough, dass die Scheibe des Führerhauses offenbar doch einen Schaden abbekommen hatte - sie zeigte einen Sprung und - ein nur daumennagelgroßes Loch. In dieses Loch eingefädelt hatte sich ein dünner Strang, dessen Ende wiederum Halt irgendwo hinter dem Uniformkragen des Zugführers gefunden hatte, im Genick.
    Der Lokführer und Heizer in Personalunion ignorierte Finsborough noch immer. Jedenfalls drehte er sich nicht nach ihm um. Aber er tat immerhin das, worum der Fabrikant ihn eindringlich ersucht hatte - er legte den Geschwindigkeitshebel auf Maximum. Die Dampflokomotive beschleunigte so stark, dass Finsborough fürchtete, sie könnte aus den Schienen springen.
    »Das ist genug - genug !«
    Der Zug raste dem Licht am Ende des Tunnels in halsbrecherischem Tempo entgegen.
    Finsborough blickte hinter sich. Durch die Verglasung der unmittelbar aufeinanderfolgenden Türen konnte er in den Waggon blicken, aus dem er geflüchtet war. Nichts und niemand dort drin rührte sich noch.
    Er versuchte, das alles nicht an sich heranzulassen.
    Stattdessen starrte er wieder geradeaus, wo der Zug gerade die Grenze zwischen Untergrund und Oberfläche durchbrach.
    Und immer noch beschleunigte.
    Schneller, als jemals eine Bahn in einen Bahnhof eingefahren war, raste der Todeszug in die Station, wo ahnungslose Menschen darauf warteten, selbst zuzusteigen und mit diesem Geniestreich menschlicher Ingenieurskunst zu einem anderen Punkt Londons zu fahren.
    Doch um zusteigen zu können, hätte der Zug zunächst einmal anhalten müssen.
    Was er nicht tat.
    »Kerl…!«
    Finsborough hatte begriffen, dass die jetzige Geschwindigkeit ebenfalls in einer Katastrophe enden musste.
    Und dass der Zugführer nicht mehr Herr seiner selbst war.
    Voraus tauchten die Rammblöcke auf, die einen ausrollenden Zug mit stetig fallender Geschwindigkeit daran hindern konnten, über eine bestimmte Stelle hinauszufahren.
    Aber nicht bei dieser Geschwindigkeit.
    Bei dieser Geschwindigkeit bedeutete ein Rammbock nur eines.
    Aus! , dachte Finsborough. Er wunderte sich, dass er keine Angst verspürte.
    Ihm wurde kurz schwindlig, und dann krachte der Zug auch schon mit negierender Gewalt gegen das Hindernis.
    7.
    Gegenwart
    Das Reihenhäuschen stand im Stadtteil Whitechapel.
    Ripper-Revier.
    Vor weit über hundert Jahren jedenfalls.
    Aber Zamorra erinnerte sich, bei seinem Abstecher in die Vergangenheit - der mit Arsenius Hall in Zusammenhang stand, in erster Linie aber zum Ziel gehabt hatte, Nicole von dort zurückzuholen - genau jene Epoche gestreift zu haben.
    Das Viktorianische Zeitalter. London. Millbank Penitentiary.
    Er betätigte den Türklopfer in Form eines Löwenkopfes. Es gab auch eine elektrische Klingel, aber wo immer Zamorra die antiquiertere Version eines Türmelders antraf, benutzte er ihn auch.
    Das hämmernde Geräusch hallte durch das Haus.
    Hogarth lächelte über die Marotte, obwohl er in Gedanken noch bei dem gerade Verstorbenen zu weilen schien.
    Schritte wurden laut. Eine Frau öffnete. Sie war höchstens Mitte dreißig und hatte ein klares schmales Gesicht mit Augen, die erst auf den zweiten Blick etwas zu klein im Gesamtkontext wirkten.

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