0942 - Die blutige Lucy
Wasser. Es spielte für sie keine Rolle mehr, daß auch der Mantel naß wurde.
Dann endlich berührte sie die Kiste! Sie sah, daß diese Kiste einen Namen hatte und auch nicht aussah wie eine Kiste.
Die Wellen hatten einen Sarg an das Ufer geschwemmt!
***
Lucy Tarlington war völlig außer Atem, als sie den Sarg abermals erreichte. Sie konnte ihn nicht am Ufer lassen und mußte ihn ins Haus holen, aber wie? Sie eilte ins Haus, um einen Strick zu holen.
Den wollte sie an der Totenkiste befestigen, um sie zum Haus zu ziehen.
Der Strick war lang genug, um den Sarg verschnüren zu können wie ein Paket. Das hatte Lucy auch geschafft. Sie schaute sich ihr Werk an und war zufrieden. Sie spürte jetzt weder die Kälte noch den Wind. Es ging einzig und allein um sie und um das, was ihr das Meer gebracht hatte.
Sie nahm das lange Ende des Seils hoch, warf es aber noch nicht über ihre Schulter, sondern bückte sich, um an der alten Totenkiste zu rütteln, die allerdings ihr Geheimnis nicht preisgab. Sie blieb zu.
Jetzt ging es Lucy gut, und daran änderte auch die Aufregung nichts, die von Minute zu Minute zunahm. Es war bald soweit, dann würde sie wissen, womit sie es zu tun hatte. Bisher hatte sie die Botschaft nur gespürt, nun aber konnte sie zupacken, den Sarg öffnen, sich mit den Inhalt beschäftigen und…
Dann der große Augenblick. Lucy warf das Seil über ihre Schulter und zerrte daran. Der Sarg setzte sich tatsächlich in Bewegung, löste sich aus dem nassen Sand. Anschließend schleifte er darüber hinweg, und Lucy spürte schon das schwere Gewicht, wobei sie inständig hoffte, daß sich die Verschnürung nicht löste.
Nach einigen Minuten wurde der Transport zu einer regelrechten Quälerei. Das Gelände war einfach zu steil, und die Frau mußte noch mehr Kraft aufwenden.
Immer öfter schaute sie sich um, machte Pausen, doch sie hielt durch, gab nicht auf.
Manchmal schaukelte der Sarg, stand dicht vor dem Kippen, aber er fiel nicht. Es schien so zu sein, als wären Geisterhände dabei, ihn festzuhalten, und Lucy kam immer besser zurecht, je weiter sie ging.
Sie biß die Zähne zusammen. Ihr Gesicht war vor Anstrengung rot angelaufen. Sie keuchte und schwitzte und legte Meter für Meter zurück.
Den Blick hatte sie nach vorn gerichtet. Sie sah nur das Haus auf den Klippen mit der breiten Treppe. Hinter ihrem Rücken vernahm sie die rumpelnden und polternden Geräusche der Totenkiste, die über die vielen Hindernisse rutschte.
Vor dem Haus klappte es besser. Da war der Weg nicht mehr so steil, fast eben, doch da Lucy müde war, kam er ihr nicht weniger anstrengend vor. Als sie die unterste Treppenstufe erreicht hatte, löste sich ein Schrei aus ihrem Mund. Ein Laut der Erleichterung, der auch dann anhielt, als sie zusammensank und auf der ersten Stufe hockenblieb.
Sie war zufrieden, aber sie war auch erschöpft. Lucy brauchte eine Pause, um den zweiten Part ihrer Aufgabe in Angriff nehmen zu können. Auf ihrem Gesicht klebten einige Haarsträhnen am Schweiß fest. Lucy drückte sie erst gar nicht zur Seite, sie wollte nur wieder Kraft finden und schaute dabei hinaus auf das Meer.
Es zeigte sich jetzt friedlich. Nichts wies darauf hin, zu welch einem Raubtier es in der Nacht geworden war. Der normale Wellengang hätte sie eigentlich beruhigen können, doch Lucy war innerlich noch zu nervös und mußte sich erst fangen.
Nach einigen Minuten ging es ihr besser. Sie stand, ging die Treppe hoch, öffnete die breite Tür und keilte sie fest. Der Platz war breit genug, um den Sarg hindurchziehen zu können. Zuvor aber mußte sie noch die Treppe schaffen.
Wieder griff sie nach dem Seilende. Ihre Hände schmerzten bereits. Das Seil hatte sie doch ziemlich aufgerauht.
So zerrte sie den Sarg die Treppe hoch und lauschte den rumpelnden Geräuschen, wenn er über die unregelmäßigen Kanten der alten Steintreppe hinwegglitt.
Das Haus wartete.
Das Haus war dunkel.
Lucy hatte vor einigen Fenstern die Vorhänge zugezogen, so auch in der kleinen Halle, wo sie an den wenigen Möbelstücken vorbei die Totenkiste zog. Mitgeführter feuchter Sand verursachte auf dem Boden kratzende Geräusche.
Erst in der Mitte der kleinen Halle ließ sie das Seil los. Es klatschte zu Boden wie eine tote Schlange. Lucy ging einige Schritte zur Seite, um sich mit der Schulter gegen die Wand zu lehnen. Sie ruhte sich zunächst einmal aus, denn wieder hatte sie ein großes Stück des Weges hinter sich gebracht.
Sie freute sich
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