0944 - Die Brücke zur Anderswelt
Schutz einer mächtigen Wurzel, die zu einem umgekippten Baum gehörte, und kauerten sich dort nieder. Der Regen endete nach gut einer Stunde und machte einer wärmenden Frühlingssonne Platz. Urplötzlich knackte es neben ihnen im Gebüsch. Minamoto fuhr mit einem Schrei hoch, weil er ihre Verfolger vermutete, wollte flüchten und stolperte dabei. Nicole wollte ihn noch halten, aber er fiel der Länge nach hin. Dabei schlug er mit der Stirn auf eine scharfe Holzkante. Der Japaner verdrehte die Augen und lag still.
Erschrocken ging Nicole in die Knie. »Mensch, Minamoto-san, mach bloß keinen Scheiß«, flüsterte sie, während sie seinen Puls fühlte. Er schlug, Gott sei Dank, wenn auch nur ganz schwach. Im Jeep fand sie einen Sanitätskasten und versorgte die schwere Platzwunde an Minamotos Stirn notdürftig. So vorsichtig es nur ging, nahm sie ihn unter den Achseln und versuchte ihn in den Jeep zu zerren. Er musste dringend ins Krankenhaus! Wie aber würde er die weitere Flucht überstehen, wenn sie Gas geben musste?
Nicole stand der Schweiß auf der Stirn. Während sie Minamoto transportierte, schaute sie mit einem Auge immer den Pfad zurück, immer vermutend, dort plötzlich ihre Verfolger auftauchen zu sehen. Doch schließlich hatte sie ihn auf dem Rücksitz liegen und bettete seinen Kopf auf eine zusammengelegte Jacke.
Nicole schnaufte kräftig durch und wollte sich gerade wieder hinters Steuer klemmen. Plötzlich erstarrte sie für einen Moment. Auf einem moosüberwucherten Felsen seitlich von ihr bewegte sich etwas! Sie sah es aus den Augenwinkeln. Adrenalin durchflutete sie. Blitzschnell fuhr sie herum. Sie griff nach der MP auf dem Vordersitz.
Drei Halbwüchsige starrten sie aus großen Augen an. Zwei Jungen und ein Mädchen. Nicole atmete tief durch und legte die Waffe zurück. Sie streckte den dreien die Handflächen als Zeichen ihrer Friedfertigkeit entgegen. »Kommt näher. Ich tu euch nichts«, sagte sie lächelnd auf Englisch und winkte sie dann mit beiden Händen heran.
Die Jugendlichen, die einfache, zum Teil verschmutzte Kleidung trugen, folgten zögernd ihrer Aufforderung. Geschickt wie Affen stiegen sie vom Felsen. Das Mädchen schien am couragiertesten zu sein. Sie fragte Nicole etwas auf Japanisch.
Die verstand natürlich nur »Bahnhof«, machte den dreien aber mit Händen und Füßen sowie einigen gelernten Brocken Japanisch klar, dass Minamoto-san dringend Hilfe benötigte. Am besten gleich im Dorf, aus dem die Jugendlichen wohl stammten.
Sie tuschelten miteinander. Dann nickte das Mädchen und zeigte mit ausgestrecktem Arm über die Felsen. Sie schienen Nicole verstanden zu haben. Dann rannte sie weg, während die Jungen blieben und scheu die Waffen betrachteten.
Die Minuten vergingen. Nicole wurde immer nervöser. Jeden Moment konnten ihre Verfolger auftauchen und dann hatte sie jetzt auch noch die Jugendlichen am Hals! Aber sie musste warten. Dank der glücklichen Begegnung bekam Minamoto wahrscheinlich eine echte Überlebenschance. Eines konnte sie aber tun: Ein Stück den Pfad zurückgehen, um die Verfolger abfangen zu können, bevor sie den Jeep und die Jugendlichen erreichten.
Gut zehn Minuten später erschienen vier ebenfalls einfach gekleidete Männer mit einer zusammenklappbaren Trage auf der Szenerie. Der Älteste war um die Sechzig, mit wettergegerbtem Gesicht und einem blauen Band um die Stirn. Er sprach ein paar Worte mit Nicole, die zurückgetrabt war, blickte missbilligend auf die Waffen und wandte sich dann dem Verletzten zu. Mit geschickten Händen untersuchte er Minamoto. Dann gab er Anweisungen und scheuchte die Jungen weg. Zwei Männer legten den Schwerverletzten vorsichtig auf die Trage und transportierten ihn ab. Nicole begleitete sie. Der Wortführer duldete es, dass sie die MP mitnahm.
Nach einigen Minuten Fußmarsch öffnete sich der Wald. Am Ende einer grasbewachsenen Ebene, im Schutz hoher Felsen, standen etwa fünfzig Holz- und Bambushäuser. Kinder und Hunde tollten herum, dazwischen gackerten frei laufende Hühner. Nicole sah einige Autos und sogar einen klapprigen Traktor.
Minamoto wurde zu einem der Häuser gebracht, auf ein Bett gelegt und von einer uralten Japanerin, die nur noch aus Runzeln zu bestehen schien, weiterversorgt. Sie wickelte den Verband von der Wunde und tupfte sie mit einem übel riechenden Sud, den sie zuvor zubereitet hatte, ab.
Nicole war klar, dass sie im Moment nicht mehr tun konnte. Sie musste dringend zum Jeep zurück und
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