0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
sich Ellen Bates nicht zufrieden. »Sie wissen es, Mr. Sinclair. Sie wissen es ebenso wie ich. Aber wir trauen uns nur nicht, es zu sagen.«
»Es ist möglich.«
Ellen deutete auf die Spiegelfläche. »Wir sind hier zu dritt. Und wir drei haben gehört, daß die Schreie aus dem Spiegel gedrungen sind. Das mußt du aber bestätigen, Marion.«
Das Mädchen schwieg. Er hielt den Kopf gesenkt. Hinter der Stirn kreisten bestimmt keine positiven Gedanken, denn dann hätte sie anders ausgesehen, nicht so finster.
»Sie wird Ihnen keine Antwort geben wollen«, sagte ich. »Deshalb brauchen Sie sie nicht erst zu fragen, Mrs. Bates.«
»Das ist doch nicht akzeptabel, Mr. Sinclair. Wir brauchen eine Antwort, oder wollen Sie diesen unheimlichen Vorgang einfach so hinnehmen und nichts dagegen tun?«
»Das nicht. Wir stehen erst am Anfang. Und alles hängt mit diesem Spiegel zusammen.«
Beim Wort Spiegel hatte Marion aufgeschaut. Entspannt hatte sich ihr Gesicht nicht, und als sie sprach, da knurrte sie beinahe schon.
»Der Spiegel gehört mir. Mein Vater hat ihn mir geschenkt. Ich lasse es nicht zu, daß ihr ihn berührt, habt ihr verstanden? Ich will es einfach nicht zulassen. Es ist mein Spiegel.«
»Das soll er auch bleiben, Kind.« Ellen zeigte sich kompromißbereit. »Aber du hast doch selbst erlebt, daß er nicht in Ordnung ist.«
»Für mich ist er okay.«
»Das mag ja alles sein, aber für uns ist er nicht okay. Wir haben die Schreie eines Menschen gehört, und ich bin davon überzeugt, daß es Caroline gewesen ist. Jene Caroline, mit der du schon oft genug gesprochen hast, deren Existenz du allerdings abstreitest. Da liege ich doch richtig, nicht wahr?«
»Es ist mein Spiegel!«
»Ja, ja, ich weiß es. Der Spiegel soll auch weiterhin dir gehören. Es schließt nicht aus, daß er nicht normal ist. So etwas gibt es nicht. Ich Habe John Sinclair ja nicht grundlos kommen lassen.«
»Ich bin mit ihm glücklich.«
»Sollst du auch weiterhin bleiben, Kind. Aber unter einer Bedingung.« Sie sprach weiter, als Marion hochschaute. »Mr. Sinclair und ich möchten von dir wissen, wer Caroline ist. Das wirst du uns doch erzählen können.«
»Nein!« Das Mädchen blieb stur.
»Aber wir haben doch die Schreie gehört. Du ebenfalls, Marion.«
»Ich? Nein…«
Ellen lief rot an. Sie fühlte sich von ihrer Tochter auf den Arm genommen und machte in ihrer Wut auch einen hilflosen Eindruck.
Davon zeugte auch der Blick, den sie mir zuwarf. Sie wollte, daß ich etwas tat, doch es war schwer für mich, gegenüber diesem verstockten Kind den richtigen Ton zu treffen.
»Sollen wir nicht nach nebenan gehen und dort versuchen, in aller Ruhe zu sprechen?« schlug ich vor.
Marion schaute mich nicht einmal an, als sie sagte: »Nein, ich will ins Bett.«
»Gut, dann geh!«
Mutter und Tochter waren überrascht und nicht mal fähig, einen Kommentar abzugeben. Sie wunderten sich nur und schauten zu, wie ich durch die offene Tür in den Nebenraum ging.
Zuerst zögerte Ellen Bates noch, dann aber kam sie mir nach und hatte kaum das Zimmer ihrer Tochter verlassen, als diese die Tür heftig zuknallte.
Ellen schrak zusammen. Sie wollte herumfahren, um Marion Bescheid zu geben, ich aber winkte ab. »Lassen Sie es, Mrs. Bates. Das hat keinen Sinn.«
Sie sprach mit schwerer Stimme. »Dann wollen Sie meiner Tochter nachgeben, Mr. Sinclair?«
»Das sieht nur so aus«, sagte ich. »Es ist nur ein taktischer Rückzug, mehr nicht.«
»Na ja, ich weiß nicht.« Sie schaute auf die Uhr. »Fast halb eins. Ich weiß nicht, was das noch alles werden soll. Jetzt brauche ich einen Schluck, Sie auch?«
»Ich nehme auch einen Whisky.«
Ellen Bates schenkte ein. Sie atmete noch immer heftig, als sie mir das Glas reichte. »Ich habe Sie hergebeten, damit Sie die Probleme lösen. Das ist nicht eingetreten. Wahrscheinlich sind sie noch größer geworden.«
»So würde ich das nicht sagen.«
»Wie denn?«
Ich blickte in die erstaunten Augen und lächelte. »Die Probleme haben sich verändert. Wir erleben sie jetzt spezifischer, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Eigentlich nicht so recht.«
»Dann will ich es Ihnen sagen, Mrs. Bates. Wir wissen zumindest, um was es geht. Um eine Person namens Caroline, und dieses Mädchen existiert, wenn auch nicht in einer für uns sichtbaren Welt, aber es gibt sie. Verborgen hinter dem Spiegel…«
Ellen trank einen Schluck. »Wissen Sie, wie sich das für mich anhört, Mr. Sinclair?«
»Ich kann es mir
Weitere Kostenlose Bücher