0949 - Das Kind, das mit den Toten sprach
denken.«
Die Frau wurde konkreter. »Es hört sich an, als wären Sie dabei, mir ein Märchen zu erzählen. Ein Märchen, das aber in Wirklichkeit keines ist, denn wir spielen eine Hauptrolle in dieser ungewöhnlichen Geschichte.«
»Da könnten Sie recht haben.«
Als ich getrunken hatte, stellte auch sie das Glas ab und hörte mir zu. »Ich will jetzt nicht groß spekulieren. Man darf auch nicht nach den Gründen fragen, aber sie haben mich ja nicht grundlos geholt, Mrs. Bates. Märchen sind es nicht, das müßten Sie schon wissen. Wir erleben hier einen konkreten Fall, auch wenn dieser sich etwas unwahrscheinlich anhört. Aber es gibt ihn. Es gibt ihn leider. Wir haben es hier mit einem Spiegel zu tun, und ich weiß, daß es Spiegel gibt, die nicht nur dazu da sind, um sich darin zu betrachten. Sie existieren auch, um gewisse Botschaften zu transportieren. Sie sind gewissermaßen Mittler zwischen den Welten.«
»Welten?« flüsterte sie und staunte dabei.
»Ja – oder Dimensionen.«
Ellen Bates runzelte die Stirn. »Jetzt ist es kein Märchen mehr, sondern schon Sciencefiction.«
»Nein oder ja. Akzeptieren Sie einfach, daß es außer der sichtbaren noch eine Welt gibt, die nicht sichtbar ist. Die jenseits der sichtbaren Ebene liegt.«
»Das Jenseits.«
»Auch, Mrs. Bates, aber nicht unbedingt. Es würde zu weit führen, wenn wir jetzt darüber diskutieren. Bleiben wir zunächst bei dem Spiegel. Er stellt die Verbindung zwischen den beiden Welten dar. So sehe ich das, so muß man es auch sehen, wenn ich all meine Erfahrungswerte eingebe. Denn ich habe nicht zum erstenmal mit einer Spiegelmagie zu tun. Da steckt mehr dahinter.«
»Das kann ich nicht nachvollziehen«, sagte sie leise, »aber ich habe mich entschlossen, Ihnen zu glauben.«
»Das finde ich wunderbar.«
Sie lachte nur. »Aber was machen wir jetzt?« fragte sie. »Wir müssen doch etwas unternehmen.«
»Klar, das werden wir auch. Darauf können Sie sich verlassen. Nur kann und darf man nichts überstürzen. Wir müssen behutsam zu Werke gehen. Sie werden mit Tatsachen konfrontiert werden, über die Sie gar nicht mal nachdenken sollten. Nehmen Sie die Dinge, wie sie sind, und alles andere wird sich geben.«
»Das glauben Sie, Mr. Sinclair?«
»Warum denn nicht?« Ich lächelte etwas mokiert.
»Na ja, es geht um meine Tochter.«
»Eben.«
Ellen Bates staunte, weil ich mich wieder gesetzt hatte. »Was meinen Sie damit?«
»Marion wird uns auf die Spur bringen. Ob sie es nun will oder nicht. Verlassen Sie sich darauf.«
»Das denken Sie.« Auch Ellen setzte sich. »Aber Sie kennen den Dickkopf meiner Tochter nicht. Das heißt, ein wenig haben Sie ihn ja schon kennengelernt. Aber ich weiß, daß sie nicht aufgeben wird. Dieser Spiegel ist für sie wichtig. Er war es immer. Es ist ein Geschenk ihres Vaters, an dem sie sehr hängt.«
»Wobei wir beim Problem Nummer zwei wären, Mrs. Bates.«
»Wieso?«
»Ganz einfach. Der Vater hat ihr den Spiegel geschenkt. Ich kann mir vorstellen, daß er ein Abschiedsgeschenk gewesen ist. Oder liege ich da falsch?«
»Nein, liegen Sie nicht, Mr. Sinclair.«
»Wunderbar. Ihr Mann hat seiner Tochter einen Spiegel geschenkt. Warum? Wissen Sie das?«
»Nein. Er wollte ihr nur etwas hinterlassen.«
»Dann wissen Sie auch nicht, wo der Spiegel gekauft worden ist?«
»Nein, das weiß ich auch nicht«, sagte sie. »Er hat ihn eines Tages, praktisch am letzten Tag, an dem wir zusammen waren, mitgebracht, und Marion hat sich wahnsinnig darüber gefreut. Sie hat ihren Vater umarmt, sie hat geweint, sie hat gelacht. Ich schaute zu, und Sie können sich vorstellen, daß in mir die Eifersucht hochschnellte, aber ich mußte es akzeptieren.«
»Dann wissen Sie also gar nichts über den Spiegel.«
»So ist es.«
»Das ist schlecht«, gab ich zu. »Es wäre schon von Vorteil gewesen, hätten wir seinen Weg zurückverfolgen können. So aber stehen wir zwar nicht gerade vor dem Nichts, aber wir sind gezwungen, einen Umweg zu gehen. Und zwar einen über Ihren Mann.«
»Bitte?«
»Wie heißt er?«
»Tillman Bates.«
»Das ist selten.«
»Ja, zumindest sein Vorname. Seine Großmutter soll ihn ausgesucht haben, wie ich hörte.«
»Okay, weiter. Was ist Ihr Mann von Beruf?«
»Er ist Lehrer.«
»An einer Schule, die…«
»Moment, Moment, Mr. Sinclair. Mein Mann ist ein Privatgelehrter. Er gibt Gastvorlesungen. Man kann ihn engagieren, und er ist sehr gefragt.«
»Was lehrt er denn?«
»Philosophie und
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