095 - Das Ungeheuer von Loch Ness
der Gesellschaft allerdings betrieb diese Forschung nur halbherzig. Ob es dieses Fabelwesen nun gab oder nicht, war diesen Mitgliedern völlig gleichgültig. Sie dachten nur an den Tourismus und das Geschäft. So lange, wie das öffentliche Interesse an Nessie wach blieb, war ihnen alles recht.
Nessie garantierte den Besucherstrom das ganze Jahr über; mehr wollten diese Leute nicht.
Pattrick Mclntosh blieb stehen und schlug den Mantelkragen hoch. Er war seltsam nervös seit einigen Minuten. Hinzu kam ein Gefühl der Bedrohung. Am liebsten wäre er auf dem Absatz umgedreht und zurück nach Hause gegangen.
„Es ist so seltsam still, Großvater", sagte Gloria.
Hatte sie eben noch im Plauderton gesprochen, so wirkte ihre Stimme nun befangen.
„Die Menschen scheinen sich in ihren Häusern und Wohnungen zu verbarrikadieren", stellte der alte Herr fest.
Er deutete mit der Spitze seines Spazierstocks auf die Häuserzeilen. Wo die Blendläden noch nicht geschlossen worden waren, wurde das jetzt wie auf ein geheimes Kommando hin nachgeholt. Die Bewegungen der Bewohner waren hastig und wirkten dennoch irgendwie verstohlen. Man vermied jedes unnötige Geräusch.
„Was hat das zu bedeuten?" fragte Gloria leise.
„Ich weiß es nicht." Mclntosh ging zögernd weiter. „Um diese Zeit herrschte gerade hier immer Betrieb."
„Ob das was mit dem Nebel zu tun hat, Großvater?"
Während Gloria noch sprach, deutete sie auf feine Nebelschwaden, die über den Boden herankrochen. Sie waren wie Finger, die sich durch die schmalen Straßen und Gassen tasteten, zögernd, noch ein wenig unsicher.
Mclntosh wunderte sich. Diese feinen, milchigen Schwaden bewegten sich gegen den kalten Nordwind, der durch die Stadt blies. Der Nebel kroch in gleichmäßigem Tempo unaufhaltsam heran, floß auseinander, verdichtete sich wieder und erinnerte an einen zähen Sirup.
„Unheimlich", sagte Gloria und schüttelte sich. „So etwas hat es hier noch nie gegeben. Oder?"
„Laß uns zurückgehen!" sagte der alte Herr. „Das ist kein Nebel, Kind."
„Sondern?"
Gloria wandte sich um und sah die Straße hinunter. Auch hinter ihnen schoben sich die ersten Nebelfetzen quer über die Straße. Sie schienen ihnen den Rückweg abschneiden zu wollen.
Pattrick Mclntosh antwortete nicht. Er beobachtete eine große Katze, die gerade über eine Grundstücksmauer gesprungen war und jäh zurückwich. Sie mußte so etwas wie einen Feind gewittert haben, fauchte und machte einen Buckel. Ihr Schweif peitschte nervös hin und her. Sie wich an die Steinmauer zurück und wurde von einem Nebelschwaden verfolgt, der sich jetzt teilte und sie halbkreisförmig einschloß.
Todesangst schien das Tier erfaßt zu haben. Es sprang vor, schlug mit der linken Pfote blitzartig nach einem tastenden Nebelfinger und fauchte gereizt. Das Tier versuchte es erneut und miaute dann kläglich. Es wurde zurückgeworfen, überschlug sich und landete am Fuße der Mauer.
Die Katze hatte keine Möglichkeit mehr, noch weiter zurückzuweichen. Ihre Hinterläufe berührten die Mauer. Sie richtete sich auf, miaute wieder kläglich und war völlig verängstigt und verwirrt. Plötzlich setzte sie zum Sprung an und wollte über die kriechenden Nebelschwaden hinwegspringen. Sie schaffte drei, vier Sätze, dann blieb sie in dem zähen Nebelsirup stecken. Sie bekam ihre Läufe nicht mehr hoch. Die milchigen Schwaden umschlossen den Tierkörper. Und Sekunden später war der Todesschrei der Katze zu hören.
„Weiter, Kind! Weiter!"
Pattrick Mclntosh nahm seine Enkelin bei der Hand und zog sie mit sich fort. Er steuerte eine schmale Gasse an, in der diese unheimlichen Schwaden noch nicht zu sehen waren.
„Hör doch, Großvater!"
Gloria blieb nach wenigen Schritten stehen und lauschte. Mclntosh wußte, was sie meinte. Da war ein seltsames Geräusch in der Luft, das sich wie Wehklagen anhörte. Es wurde lauter und intensiver, peinigte die Trommelfelle.
„Das sind Menschenstimmen, Großvater!" Gloria sah ihren Begleiter entsetzt an.
„Weiter, weiter!" drängte wieder Mclntosh. „Bis zum Klub ist es nicht mehr weit."
Sie liefen los. Der alte Mann konnte das scharfe Tempo allerdings nicht durchhalten. Schon nach wenigen Minuten blieb er keuchend stehen und faßte nach seinem Herzen. Schwer ging sein Atem. „Lauf allein weiter!" entschied er. „Bring dich in Sicherheit, Gloria!"
„Du kommst mit, Großvater!"
Gloria dachte nicht daran, den alten Mann zurückzulassen. Sie drehte sich um
Weitere Kostenlose Bücher