0950 - Ein Gruß aus der Hölle
ab, die kaum den Boden erreichte.
Die Mädchen standen dicht nebeneinander und schauten nach vorn. Caroline mit starrem Blick, im Gegensatz zu ihrer Halbschwester, deren Zittern den ganzen Körper ergriffen hatte.
Vor ihnen lag noch immer der Kellergang. Die Wände waren nicht weiß gestrichen worden, sondern zeigten eine graue und braune Farbe. Glatt waren sie ebenfalls nicht. Die Quader lagen an manchen Stellen versetzt aufeinander. Spinnweben klebten zwischen Decke und Wand, und ein grünlicher Schimmer aus Moos umwuchs die Lichtquellen der Lampen.
Das war der zweite Eindruck, den die Mädchen wahrnahmen. Der erste sah anders aus, denn ihnen waren genau die Türen oder Zugänge aufgefallen, die sich in unregelmäßigen Abständen verteilten und die Wände unterbrachen.
Zum erstenmal seit langer Zeit konnte Marion lächeln. Sie dachte auch in diesem Moment nicht mehr an den Tod ihrer Mutter und sprach davon, wie schnell sie die Treppe erreicht haben würden.
Mit einer Antwort zerstörte Caroline die Freude ihrer Halbschwester. »Das glaube ich nicht.«
Marion war perplex. Sie schüttelte Caro durch. »Glaubst du nicht?« fragte sie. »Glaubst du nicht?«
»So ist es.«
»Warum denn nicht?«
Die Antwort gab nicht Caroline, sondern ein anderer, den sie nicht sahen, weil er sich in einem der Kellerräume verbarg. Die Mädchen hörten die schrecklichen Geräusche, ein dumpfes Stöhnen und dazwischen ein widerliches Schmatzen.
Die Angst holte Marion wieder ein. »Caro - bitte, was ist das? Sag es doch!«
Caroline nickte. »Das ist«, erwiderte sie mit Flüsterstimme, »das eigentliche Geheimnis unseres Vaters…«
***
Ich wartete auf den Schmerz, der zwangsläufig folgen mußte. Ich wartete auch auf das feuchte klebrige Blut, das aus der Wunde kriechen würde, beides hielt sich zurück, und zunächst geschah nichts.
Ich spürte nur einen Druck in der Wange und hörte Bates kichern, während Sirca grinste. Er hielt die Nadel weiterhin fest, als klebte sie zwischen seinen Fingern.
Es waren nur Sekunden. Für mich dehnten sie sich zu endlosen Zeitspannen. Etwas in meiner linken Wange fing an zu pochen und zu tuckern, Signale des sich nähernden Schmerzes.
Plötzlich zerrte Sirca die Nadel wieder hervor. Er hatte sie sehr gemächlich in meine Wange gestoßen, sie löste sich allerdings blitzartig, und plötzlich erreichte mich der Schmerz.
Jemand bohrte ein zweites Mal in meine Wange. So kam es mir vor. Es war stechend, es breitete sich aus und strahlte über meine gesamte Wange hinweg. Da floß auch das Blut aus der Wunde und sickerte als dünnes Rinnsal nach unten.
Der Schmerz ließ sich ertragen. Er war etwas stärker als der, den man bei einer Spritze verspürte, auch deshalb, weil die Nadel dicker gewesen war.
Diese hielt Sirca noch immer zwischen den Fingern und schaute ihr blutiges Ende an, wobei das Lächeln aus seinem Gesicht ebenfalls nicht verschwunden war.
Er hatte gewonnen. Er freute sich, und auch der Satanist war zufrieden. Die Mündung der MPi zielte auf mich, der Finger lag am Drücker, er brauchte ihn nur um eine Idee zu bewegen, und es hatte mich gegeben.
»Schmerz gehört dazu«, flüsterte Tillman Bates, als wollte er mir Unterricht geben. »Du mußt ihn hinnehmen, du mußt ihn erleiden. Du kannst dich aber auch an ihm aufbauen. Er kann dir Kraft geben, und er kann dich auf den nächsten vorbereiten, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Ja, ich weiß Bescheid.« Klebrig floß der schmale Blutstreifen in Richtung Kinn und Hals. Eine Sache, die ich nur am Rande wahrnahm. Nach der Ouvertüre folgte das Drama, denn Sirca hatte sich bereits auf mein linkes Auge konzentriert. Ich sah diesen Blick und automatisch ausgelöst durch diese schlimmen Zukunftsgedanken, schloß ich die Augen, was bei Sirca wiederum nur ein Lachen hinterließ. Er ließ es dabei nicht bleiben und sprach mich auch an.
»Keine Chance, Bulle. Auch wenn du dein Auge geschlossen hältst, ich werde es dir trotzdem ausstechen.« Er wandte den Blick von mir ab und beschäftigte sich wieder mit dem Inhalt seines Etuis.
Er fand sie rasch.
Sie war dicker und länger. Ein böses Mordinstrument, gegen das mein Auge nicht die Spur einer Chance hatte. Sie erinnerte mich an eine Stopfnadel, allerdings war sie nicht so lang. Sirca balancierte sie zwischen seinen Fingern und schaute dabei höhnisch über sie hinweg, um mich zu fixieren. Vielleicht wollte er auch herausfinden, wie groß die Angst eines Polizisten sein
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