0950 - Visionen des Untergangs
Hölle Lohn«, sagte Stygia kichernd und nahm die Kröte mit sich. Satans Ministerpräsidentin materialisierte in der Nähe der Ebene der ewigen Schreie . Auf einem schroffen Berg erwartete sie Tigora, die Anführerin ihrer Amazonen, unbewegt, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie trug Lederkleidung und eine Ledermaske. Denn nach wie vor wurde ihr Körper von schlimmen Brandnarben verunstaltet; immerhin hatte sie das Feuer aus Svantevits Flammengesicht damals in der Schwarzen Gruft aber knapp überlebt.
»Darf ich fragen, warum du mich hierher bestellt hast, Herrin?«
»Fragen darfst du«, zischte Stygia ungnädig. »Jedenfalls heute.« Sie starrte auf die Ebene der ewigen Schreie hinab. Das düstere Stück Land, das auch hier aus graugrünen, ständig blubbernden Sümpfen bestand und über das sich ein giftgelber Himmel spannte, sah nicht allzu groß aus. Selbst wer ganz unten stand, sah die Ebene schon weit vor der Horizontlinie enden und wiederum in die schroffen steilen rundum laufenden Berge übergehen, auf denen die beiden dämonischen Frauen im Moment standen. Die Ebene der ewigen Schreie irgendwo in den Weiten der Schwefelklüfte war also eine Art Kessel. Wer allerdings so leichtsinnig war, sich zu weit auf die Ebene vorzuwagen, sah sich schon bald tödlichen Gefahren ausgesetzt. Selbst hochrangige Dämonen mussten dann feststellen, dass ihre Magie plötzlich nicht mehr richtig funktionierte. Und wer einen bestimmten Punkt erreicht hatte, der bewegte sich ewig, ohne die Ebene je wieder verlassen zu können. Das hieß, er war rettungslos verloren, denn helfen konnte ihm dann niemand mehr. Nach einer unbestimmten Zeit verschwanden diese Unglücklichen plötzlich. Und bisher hatte niemand feststellen können, ob sie unsichtbar weiterexistierten oder in ein anderes Universum versetzt wurden.
Ob diese Phänomene mit den Dämonengeistern zusammenhingen, die hin und wieder über der Ebene gesichtet wurden, wusste ebenfalls niemand. Man wusste ja nicht einmal, um wen es sich bei diesen furchterregenden Wesenheiten überhaupt handelte, selbst die Teuflischen Archivare besaßen keinerlei Aufzeichnung darüber. Zwölf dieser Dämonengeister waren bisher gezählt worden, jeder von ihnen mindestens drei Mal so groß wie Lucifuge Rofocale, aber von schlanker, sehniger, fast dürrer Gestalt. Borstiges Fell schien ihre Haut zu bedecken, aus den Mäulern der viel zu kleinen Köpfe mit den selbst für höllische Verhältnisse unglaublich grausamen Gesichtern ragten mächtige Hauer. Das Allerschlimmste aber war die Aura absoluter Macht, die sie ausstrahlten, wenn sie wie schwarz leuchtende Schemen über der Ebene erschienen, eine Art geisterhaften Tanz aufführten und dabei seltsam klagende Schreie ausstießen, die selbst Erzdämonen das schwarze Blut in den Adern gefrieren ließen. Stygia nahm an, dass es sich ebenfalls um Erzdämonen handelte, allerdings um solche, die selbst bei Lucifuge Rofocales Geburt - er mochte beim Erzengel versauern - schon Legende gewesen waren und deren magisches Potenzial so unendlich groß gewesen sein musste, dass es sich dem Begreifen der heutigen Dämonen schlichtweg entzog.
Immer wieder hatte der höllische Adel versucht, mit den Geistern in Kontakt zu kommen. Sie hatten nie geantwortet. So war auch jeder Versuch, sie vor irgendeinen Karren zu spannen, von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Keine Magie hatte sie bisher zwingen können.
Stygia war schlau genug, es nicht ebenfalls zu versuchen. Aber dank ihrer Schläue sah sie eine andere Möglichkeit, die Existenz der Dämonengeister für sich zu nutzen. Sie hielt Tigora die Kröte hin. »Hier, pass gut auf das Vieh auf, es ist äußerst wertvoll. Du wirst hier bleiben und dich verstecken, obwohl sicher niemand hierher kommen wird. Solltest du meinen Befehl erhalten, wirst du Folgendes machen.«
Nachdem die Ministerpräsidentin ihre Helferin instruiert hatte, erschien sie vor der Wohnstatt Belzaraschs. Die Erzdämonin wohnte standesgemäß in einem prunkvoll ausgestatteten Felsenpalast im Finstergebirge , ganz in der Nähe der Lava-Seenplatte . Die Legionen niederer Dämonen, über die sie gebot, lagerten ständig um den Palast herum und verwandelten die Seenplatte und die Hänge des Finstergebirges in ein riesiges Heerlager. Millionen verschiedenartig aussehender Wesen trieben sich zwischen den Feuern herum, die überall brannten. Sie beschäftigten sich hauptsächlich damit, menschliche Seelen zu jagen und aufs Übelste zu
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