0952 - Dr. Sensenmann
verriet Unsicherheit. Er blieb weit vor der Tür stehen, weil er im Moment nicht zurechtkam. Wir konnten uns die Tische aussuchen. Sie bestanden, ebenso wie die Stühle, aus dunklem Holz. Die Mitte der Tische war mit roten Fliesen ausgelegt, während die Stühle das gleiche Rot als Polsterung aufwiesen.
»Am Fenster?« fragte ich.
»Ist okay.«
Wir setzten uns gegenüber. Ein kleiner Mann wieselte auf krummen Beinen herbei. Er sah aus wie ein Gaucho, der sich verlaufen hatte.
Schwarze Hose, rote Bolerojacke, ein braungebranntes Gesicht und ein Schnäuzer.
Zwei Speisekarten reichte er uns und erkundigte sich nach den Getränkewünschen.
»Ich nehme ein großes Bier.«
»Gern, Sir. Und Sie?«
»Wasser!«
»Bringe ich sofort.«
Ferrano grinste mich an. »Als Autofahrer muß man sich eben an die Regeln halten.«
»Da sagen Sie was.«
»Aber ich habe mich verdammt auf ein frisches Bier gefreut, das kann ich Ihnen sagen.«
»Hätte ich ebenfalls.« Ich nahm die Karte und klappte sie auf. Es wurden Steaks in verschiedenen Größen und Geschmacksrichtungen angeboten, aber es gab auch Hamburger auf südamerikanische Art.
Dafür entschied ich mich, während mein Gegenüber kaum einen Blick in die Karte geworfen hatte. »Was ist los? Wollen Sie nichts essen?«
»Sie haben mich doch eingeladen -oder?«
»Klar.«
»Dann nehme ich das größte T-Bone-Steak, dazu rote Bohnen und eine scharfe Soße.«
»Keine Kartoffeln?«
Er fletschte die Zähne. »Nein, nur Fleisch. Im Knast wird man zum Wolf, und der Wolf braucht viel Fleisch.«
»Richtig.«
Der Ober brachte die Getränke. Gleichzeitig betraten noch zwei andere Männer das Lokal. Sie sahen wirklich aus wie Vertreter, denn sie trugen ihre Musterkoffer bei sich. Zum Glück setzten sie sich von uns weiter entfernt hin, so konnten sie auch der Unterhaltung nicht lauschen.
Mickey Ferrano trank. Es war ein großes Bier, und er schluckte es mit einer wahren Inbrunst. Dabei atmete er durch die Nase ein. Seine Augen leuchteten, und als er das große Glas absetzte, da war es bereits zur Hälfte leer.
»Geschmekt?« fragte ich.
»Das kam schon einem Orgasmus gleich.«
»Kann ich mir denken.«
Er schaute auf die rote Platte. »Tja, jetzt hocke ich hier. Gestern um diese Zeit habe ich noch in der Zelle gesessen.«
»Wie schlimm war die Zeit?«
Er winkte ab. »Es lohnt sich nicht, darüber zu reden. Aber mich wundert trotzdem etwas.«
»Raus damit!«
Ferrano wartete, bis der Ober das Besteck hingelegt hatte, erst dann redete er. »Sie sitzen hier mit einem Zuchthäusler zusammen, das steht ja nun außer Zweifel. Aber Sie haben mich nicht gefragt, weshalb ich gesessen habe.«
»Nun ja…«
»Warum?«
Ich hob die Schultern und spielte den Verlegenen. »Wissen Sie, ich habe mich nicht getraut, wenn ich ehrlich sein soll. Das ist es gewesen. Ich dachte mir, daß Sie es selbst sagen, wenn Sie es wollen.«
»Ehrlich?«
»Ja.«
»Sind Sie immer ehrlich?«
»Ich bemühe mich.«
Er grinste schief. »In Ihrem Job?«
»Auch das.«
»Wie schön, daß ich mal einem ehrlichen Menschen gegenübersitze«, sagte der Mann, »aber ich will auch ehrlich Ihnen gegenüber sein und werde Ihnen sagen, weshalb ich im Knast gewesen bin.«
»Bitte, wenn Sie wollen.«
Er beugte sich so weit vor, als wollte er über die Tischplatte hinwegkriechen. »Ich habe sieben Jahre wegen Mordes gesessen, John. Sieben lange, verdammte Jahre. Können Sie sich das vorstellen? Können sie sich denken, was da in einem vorgeht?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Aber ich weiß es!« flüsterte er scharf. »Ich weiß es verdammt genau.«
»Und wen haben Sie umgebracht?« fragte ich.
»Wollen Sie raten?«
»Das hätte keinen Sinn. Ich kenne mich da wohl nicht aus, aber Sie werden es mir sagen.«
Zuvor gaben wir die Bestellung auf, und der Ober war der Meinung, daß wir eine gute Wahl getroffen hätten.
»Ich habe einen Mann umgebracht, einen Arzt. Ich habe ihn mir genommen und erwürgt. Es ging ganz einfach. Auf einmal war er tot, und ich war sein Mörder.«
Ich schwieg. Das Schweigen gefiel ihm nicht, es machte ihn nervös.
»Warum sagen Sie denn nichts?«
Ich hob die Schultern. »Meine Güte, was soll ich Ihnen dazu sagen? Es ist nicht mein Fall und…«
»Ich bin ein Killer!«
»Hatten Sie denn Gründe?«
»Und ob.«
»Aber Sie wollen nicht darüber reden, denke ich mal.«
Er schaute mich kurz an, schüttelte den Kopf und winkte dem Ober, weil er noch ein großes Bier haben wollte.
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