0952 - Dr. Sensenmann
fragte mich, was ich falsch gemacht hatte.
War ich zu unvorsichtig gewesen? Hatte ich ihn unterschätzt? Hatte er Verdacht geschöpft? Hatte ich mich verraten?
Ein Wunder wäre es nicht gewesen, denn Ferrano mußte nach den langen Jahren im Knast einfach mißtrauisch geworden sein. Besonders Fremden gegenüber, die ihn plötzlich in ihrem Auto mitnahmen und ihm noch eine Mahlzeit spendierten.
Das mußte ihm ja schräg kommen. Schließlich war die Welt in den Jahren, die er hinter Gittern verbracht hatte, nicht besser geworden.
Insofern war seine Reaktion verständlich.
Ich hatte kaum den Tisch erreicht, suchte ihn auch nach einer Nachricht ab, die ich leider nicht fand, als der kleine Ober mit wieselflinken Schritten herbeieilte und dabei ziemlich erleichtert aussah, wie es mir vorkam.
Wenigstens war jetzt einer zurückgekommen, an den er sich wegen der Rechnung halten konnte.
»Ihr Begleiter ist schon gegangen, Mister.«
»Ja, das sehe ich. Hat er etwas gesagt?«
»Nein.«
Das wollte ich nicht so recht glauben. »Hat er wirklich nicht gesagt, weshalb er so plötzlich verschwunden ist?«
»Wirklich nicht. Er stand auf und ging weg.« Der Ober hob die Schultern und deutete zur Tür.
»Schon gut«, sagte ich, um zu fragen: »Was habe ich zu zahlen?«
Der kleine Mann lächelte. »Die Rechnung habe ich schon fertig.« Er griff in die Tasche und holte sie hervor.
Um seinen Schreck abzuschwächen, legte ich noch ein Trinkgeld hinzu, für das er sich mehrmals bedankte, dann griff ich nach meiner Jacke und verließ das Restaurant.
Es war hoher Mittag, aber die Sonne leuchtete nach wie vor ziemlich blaß durch den dünnen Dunstvorhang. Es war nicht wärmer geworden, die Temperaturen hielten sich knapp unterhalb des Gefrierpunktes.
Nur der Wind war aufgefrischt. Bei dieser Kälte biß er in die Gesichter der Menschen. Auf dem kurzen Stück zu meinem Wagen spürte ich ihn ebenfalls.
Ich schaute mich natürlich um, ob sich Ferrano noch in der Nähe aufhielt, es war müßig. Wenn er schlau war, hatte er sich so gut versteckt, daß ich suchen konnte, bis ich schwarz wurde. Zudem befanden wir uns hier nicht im freien Gelände. Die Auswahl war unendlich.
Ich hatte das Nachsehen, und das ärgerte mich. Was so gut begonnen hatte, war letztendlich zu einem Reinfall geworden, was auch an mir lag.
Ich hätte ihn einfach nicht aus den Augen lassen sollen. So gut, daß ich ihm vertrauen konnte, verstanden wir uns wirklich nicht, denn uns trennten Welten.
Ein Vorteil lag allerdings auf meiner Seite. Ich hatte diesen Dr. Sensenmann gesehen. Er war keine Einbildung gewesen. Es gab ihn tatsächlich, und deshalb würde ich auch weiterhin an diesem Fall dranbleiben.
Den Wagenschlüssel hatte ich schon aus der Tasche gezogen, öffnete die Tür, stieg ein, schaute dabei nach vorn, als ich den Wagenschlag wieder zuknallte, griff nach dem Gurt und war mit mir selbst beschäftigt.
Ein Automatismus, den ich eigentlich im Schlaf hätte durchführen können. Dabei blickte ich nach vorn, nicht in den Innen- oder Außenspiegel und auch nicht zur linken Seite.
Von dort kam er.
Und er war blitzschnell. Plötzlich riß Ferrano die Tür auf, ließ sich auf dem Beifahrersitz fallen, sagte drohend: »So!« und unterstrich diese Drohung mit einem Messer, das er mir von der Seite her gegen die Kehle drückte…
***
Ich wußte, daß er ein Killer war, und ahnte, daß es ihm nicht viel ausmachen würde, auch einen zweiten Menschen umzubringen.
Deshalb blieb ich sitzen, ohne mich zu rühren, und hörte seine leise, aber gefährlich klingende Stimme: »Die Hände ans Lenkrad und keine Bewegung!«
»Ist gut.« Ich umfaßte den kalten Ring und blieb sitzen, ohne mich zu bewegen.
Neben mir hörte ich ihn atmen. Er stand unter Druck. Der Atem zischte nur so aus seinem Mund und gegen mein Gesicht. Ich konnte riechen, was er gegessen hatte.
Als ich nach links schielte, da sah ich auch, daß sein Gesicht hochrot angelaufen war. Dieser Mann stand unter Druck. Der kleinste Fehler auf meiner Seite konnte bei ihm die Grenzen sprengen, und das wollte ich nicht riskieren.
Außerdem drückte er das Messer gegen meinen Hals! Die Spitze der Klinge hatte bereits eine kleine Wunde hinterlassen. Mochte der Teufel wissen, woher er sich diese Waffe geholt hatte.
Ich blieb ruhig und wartete darauf, daß er irgend etwas unternahm. Das wiederum trat zunächst nicht ein. Er wartete tatsächlich einige Sekunden ab, wahrscheinlich auch deshalb, um sich zu
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