0958 - Der Keller
gewartet. Der Keller ist für Wesen wie diese Skelette ideal. Wenn ich daran denke, daß eine Menge Menschen ums Leben gekommen sind, dann haben sie reiche Beute gemacht, diese verfluchten Kannibalen.«
Harry wurde blaß, als er daran dachte, und auch mir war nicht wohl dabei, denn ich dachte noch immer daran, daß wir nicht allein in diesem Schlund waren.
Den Fotografen hatte es erwischt. Aber man hatte ihn nur getötet, nicht mehr. Wahrscheinlich hatten wir die knöcherne Bestie gestört.
Harry war vor der oberen Stufe stehengeblieben. Er leuchtet mit seiner starken Lampe die Treppe aus, und der Strahl riß eine irgendwie fettige Dunkelheit auf.
»Weißt du, was ich für ein Gefühl habe, John?«
»Nein, aber sag es.«
»Ich habe das Gefühl, in mein eigenes Grab zu steigen…«
***
Vicky Meininger wußte nicht, was in den letzten Sekunden - oder waren es Minuten? - geschehen war. Da hatte sie die Orientierung verloren und war selbst wie weggetragen worden. Während sie in einer absoluten Finsternis lag, arbeitete die Erinnerung wieder und brachte ihr auch die farbigen Szenen zurück.
Farbig und trotzdem düster. Sie sah sich selbst durch den Keller schleichen, der ihr mehr als unheimlich geworden war. Wie ein lebendes Untier war er ihr vorgekommen, ein gefährlicher und unheimlicher Organismus, in dem das Grauen und der Tod das Sagen hatten.
Sie hatte die Kartons und Kisten gesehen. Sie war auf sie zugegangen, und sie hatte auch etwas gehört. Ein Krachen und Knirschen, und dann war etwas auf sie herabgefallen, dem sie nicht mehr hatte ausweichen können.
Ein breiter, großer Gegenstand, der sie wie ein gewaltiger Sargdeckel unter sich begraben hatte.
Aber sie war nicht tot. Sie hatte überlebt. Sie war gut. In ihrem Innern gab es etwas, das sich nicht so leicht zerstören ließ, und ihr Gehirn arbeitete ebenfalls exakt.
Wenn nur diese verfluchte Dunkelheit nicht gewesen wäre. Dicht, schmutzig, bedrückend, alles in sich hineinfressend, und so verdammt endgültig.
Vicky Meininger wußte nicht, wo sie sich befand. Man hätte sie in der Zeit irgendwo hinschleppen können, ohne daß es ihr aufgefallen wäre.
Sie wußte nur, daß sie auf dem Rücken lag, und sie spürte einen sehr harten Boden unter sich.
Eine kalte, harte und schmutzige Erde. Luft bekam sie. Die Frau atmete normal, aber sie konzentrierte sich auch auf den Geschmack der Luft, denn da gab es etwas in ihrer Erinnerung, das sie hervorholen wollte.
Sie dachte daran, daß sie in den Keller gegangen war und diese andere Luft eingeatmet hatte.
Ja, sie war anders gewesen. Aber nicht nur kellerhaft normal, sondern eben anders. Glatt, schmierig, ölig, das kam alles zusammen. Sie hatte den Eindruck gehabt, die Luft trinken zu können und sie dabei auf der Zunge zu schmecken.
Da mußte etwas Bestimmtes zwischen den Wänden des Kellers sein, das diesen Geruch absonderte. Sie hatte den Eindruck, als würde die Luft wie Leim kleben. Zudem vermischte sie sich mit einer Dunkelheit, die sie hassen gelernt hatte.
Ja, sie haßte diese Finsternis, die dafür sorgte, daß man nicht die Hand vor Augen sehen konnte. Alles war zu dunkel. In einem tiefen Grab konnte es nicht schlimmer sein.
Der Gedanke daran ließ die Panik in ihr hochschnellen. Lebendig begraben, das war wohl der Alptraum aller Menschen, aber Vicky wollte es nicht hinnehmen. Nein, sie war nicht begraben, es gab hier keinen Friedhof und keine tiefen Löcher in der Erde.
Es gab nur den Keller.
Nur?
Konnte er nicht auch eine Gruft sein? Sie atmete schneller, als sie daran dachte, und der Wunsch, die Taschenlampe wiederzufinden, stieg in ihr hoch.
Vicky verzweifelte nicht, auch wenn es ihr schwerfiel, und sie die Nässe des Tränenwassers auf den Wangen spürte. Sie wollte sich wehren!
Vicky war eine Frau von fünfundzwanzig Jahren, die mit beiden Beinen im Leben stand. Sie hatte es gelernt, sich durchzusetzen, denn in den Zeitungen regierten zumeist die Männer, und die waren nicht eben zimperlich, was den Umgang miteinander anging.
Gefesselt war sie nicht. Positiv, sehr gut. Vicky suchte immer nach den guten Vergleichen, denn sie war beileibe kein negativer Mensch. Die Taschenlampe konnte sie vergessen, aber ohne Licht war sie trotzdem nicht. Auch als Nichtraucherin trug sie stets ein Feuerzeug bei sich. Es steckte in den Jeans. In der rechten Hosentasche. Die Frau hielt das schmale Feuerzeug bald in der Hand.
Dick stand ihr der Schweiß auf der Stirn, als sie es endlich geschafft
Weitere Kostenlose Bücher