0959 - Der Fallbeil-Mann
ausgehen.
Zweihundert und mehr Jahre. In dieser Zeit mußte etwas geschehen sein, das bis heute noch von Bedeutung war.
Die Nonnen, der Lord, der Fallbeil-Mann!
Ich hatte drei Punkte oder drei Spuren, aber ich wußte nicht, wo ich ansetzen konnte. Irgendwo gab es da noch eine Sperre.
Der Wagen rollte durch die Einsamkeit. Die Uhr am Armaturenbrett zeige die zweite Morgenstunde an, eine Zeit, in der mich normalerweise die Müdigkeit wie ein Schlag überfiel. Nicht so in dieser Nacht. Da war ich aufgekratzt, als hätte ich irgendeine Droge zu mir genommen. Dabei war es nur die Droge Arbeit.
Ich fuhr langsamer, als ich das Schloß als einen dunklen Umriß entdeckte.
Der Dunst hatte sich verflüchtigt und die Wolken verzogen, so daß ich die Mondsichel über mir sah.
Nichts ereignete sich. Der Weg war leer. Links von mir schimmerte der Teich, in dem ich die Szene verfolgt hatte. Welche Bedeutung hatte er?
Auch das würde mir der Lord sagen müssen. Rücksichten konnte ich jetzt nicht mehr nehmen.
Ich war unzufrieden, das stimmte. Aber dieser mächtige Druck im Magen hatte damit weniger zu tun. Es war einfach das schlechte Gefühl oder das Wissen, etwas falsch gemacht zu haben, obwohl ich eigentlich nicht anders hatte handeln können.
War etwas passiert?
Mein Mund war beinahe ausgetrocknet, doch den Whiskygeschmack hatte ich noch auf der Zunge.
Dann sah ich die Frontseite des Schlosses. Das Licht der Scheinwerfer erwischte das Gemäuer. Diesmal stellte ich meinen Rover nicht in einer Deckung ab, sondern parkte vor der Treppe.
Ich löschte die Scheinwerfer, stieg aus und ließ mich von der Stille einfangen. Sie gefiel mir nicht. Mir gefiel überhaupt nicht, daß ich hier in der Einsamkeit stand und mich fühlte, als wäre ich der einzig Lebende unter zahlreichen unsichtbaren Toten.
Mein Blick streifte den Eingang und die nähere Umgebung ab. Die Fenster waren erleuchtet, als hätte der Lord vergessen, das Licht zu löschen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er sich hingelegt hatte. In einer Nacht wie dieser konnte man doch nicht schlafen. Wahrscheinlich hatte er seinen Kummer ertränkt, hockte betrunken in seinem Sessel und würde Mühe haben, einen klaren Satz zu formulieren.
Komisch - ich stieg die Treppe hinauf, aber ich konnte mich mit meinen Vorstellungen schlecht anfreunden. Das mußte alles nicht sein, es konnte auch ganz anders gelaufen sein.
Ich zog die schwere Eingangstür auf und betrat die Halle.
Sie war leer.
Niemand begrüßte mich, aber ich wußte plötzlich, daß etwas nicht stimmte.
Drei Schritte ging ich vor und ließ die Tür hinter mir zufallen. Meine Blicke durchstreiften die Halle. Ich sah die Rückseiten der beiden Sessel weiter vorn, ich sah auch den dunklen Kamin und wollte schon den Namen des Lords rufen, als mir ein Schatten auffiel, der rechts von mir auf dem Boden lag.
Dunkel. Langgestreckt. Völlig bewegungslos. Ein Schatten war es nicht.
Ich wußte, daß dort ein Mensch lag, und ich wußte auch, wer dieser Mensen war.
Noch gab es Hoffnung. Der Lord konnte sich dermaßen stark betrunken haben, daß er es nicht mehr schaffte, auf den Beinen zu bleiben. Alles war möglich, aber die Hoffnungsflamme sank immer tiefer zusammen, je näher ich an den starren Körper herankam.
Da lag er, der Lord.
Auf dem Bauch, die Arme halb ausgestreckt und die Hände zu Fäusten geballt.
Nein, es war nicht eine Gestalt. Dort, wo sich bei einem Menschen der Hals befindet, sah ich den Spalt oder die Lücken. Und ich sah die rote Flüssigkeit, die im Teppich versickert war.
Auch meine Hände fingen an zu zittern. Ein kaltes Tuch wehte an meinem Rücken entlang und hinterließ eine Gänsehaut. Ich fühlte mich als verdammter Versager und litt entsetzlich darunter.
Ja, ich hatte verloren. Ich hatte die falschen Schlüsse gezogen. Diese Fahrt ins Kloster hätte ich nicht unternehmen sollen. Der Fallbeil-Mann war schneller gewesen.
Der Kopf lag nicht weit vom Rumpf entfernt. Man mußte wirklich nahe an den Toten herantreten, um ihn zu erkennen. Ich merkte, Wie ich innerlich verkrampfte. Allein mit der Leiche zu sein, störte mich schon, aber in diesem Augenblick wußte ich nicht, was ich noch tun sollte. Im Magen breitete sich die Übelkeit aus, die ich mit einem Schluck aus der Karaffe bekämpfen wollte.
Mein Glas stand noch auf dem Tisch. Ich schenkte mit einen dreifachen Whisky ein, setzte das Glas an die Lippen und trank die braune Flüssigkeit in langsamen Schlucken.
Sie rann durch
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