0959 - Der Fallbeil-Mann
meine Kehle und schmeckte mir nicht, sie brannte zu sehr, zum Glück nicht sehr lange.
Im Magen breitete sich die Wärme aus. Nein, es ging mir nicht gut, aber es ging mir besser, und ich fühlte mich nicht mehr so stark als Verlierer.
Was war zu tun?
Ich umklammerte das Glas, schaute hinein, aber der Whisky konnte mir keine Antwort geben. Normalerweise hätte ich die Kollegen von der Mordkommission alarmieren müssen, aber das würde nichts bringen, denn es war nicht ihre Aufgabe, den Fallbeil-Mann zu jagen. Ich mußte mich darum kümmern, aber ich mußte auch einsehen, daß mir diese unheimliche Gestalt immer ein Schritt voraus war.
Ich trank den nächsten Schluck. Also würde ich hier im Schloß bleiben und die Kollegen nicht alarmieren. Wie es schon bei den anderen Toten geschehen war.
Mein Blick war auf den Kamin gerichtet. Ich dachte daran, daß dort ein Kopf hineingefallen war. Vom Dach her, wo der Fallbeil-Mann gelauert hatte.
Jetzt war der Kamin leer. Eine düstere Höhle, aus der mir der Geruch von kalter Asche entgegendrang und mich an ein Krematorium erinnerte.
Ich streckte die Beine aus, die mir schwer geworden waren. Überhaupt befand ich mich in einem Zustand, den man nicht eben als fit bezeichnen konnte. Ich war müde, abgeschlafft. Ich war sauer, ich wollte einfach nicht mehr.
Das Glas wäre mir beinahe aus der Hand gerutscht. Im letzten Augenblick fing ich es ab und stellte es mit einer mühsamen Bewegung auf den Tisch.
Hinter mir lag ein Geköpfter. Es war schaurig und schlimm genug. Aber meine Kräfte spielten nicht mehr mit. Ich konnte mich einfach nicht mehr länger wach halten und rutschte hinein in die Welt eines tiefen Schlafes…
***
Kalte Arme umschlangen mich. Widerliche Tentakel, die aus einem eisigen See an die Oberfläche krochen und sich der Stelle näherten, an der ich mich aufhielt.
Ich spürte den Druck. Ich spürte auch die Kälte, die einfach durchging, und ich riß den Mund auf, um nach Luft zu schnappen. Dabei hatte ich das Gefühl, als wäre mir eine Faust in den Magen gestoßen, um ihn tief in meinen Rücken zu drücken.
Ich schnappte nach Luft - und war wach!
Die Augen riß ich weit auf. Bewegte dabei hektisch die Arme, weil ich mich von der Umklammerung befreien wollte - und stellte fest, da sie nicht vorhanden war.
Ich hatte geträumt. Verflucht schlimm geträumt, und ich war deshalb auch in Schweiß gebadet. Aus meinem Mund drangen ein Stöhnen und ein erleichtertes Atmen zugleich. Meine Beine waren eingeschlafen, ich zog sie an und versuchte, das taube Gefühl wegzukriegen.
So wartete ich, den Kopf leicht vorgebeugt. Ich fror und schwitzte zugleich.
In der Halle war es kalt. Aber die Kälte sorgte auch dafür, daß mein Erinnerungsvermögen zurückkehrte. Ich warf einen Blick auf die Uhr und erschrak leicht.
Sechs Uhr morgens. Ich hatte mehr als drei Stunden tief und fest geschlafen, aber ich lebte noch. Der verdammte Fallbeil-Mann war nicht erschienen, um die Gunst der Stunde zu nutzen.
Der Mund war trocken, die Zunge dick wie ein Pelz, und hinter meiner Stirn pochte es, als wären dort winzige Gestalten versammelt, die immer hämmerten.
Ich stand auf. Es fiel mir schwer. Meine Gelenke waren eingerostet, ich hatte Muskelkater bekommen und verspürte einen irrsinnigen Durst.
Aber nicht auf Whisky, sondern auf Wasser. In der Küche wollte ich mir welches holen. Zum Glück kannte ich mich im Schloß aus. Ich wußte, wo die Küche lag, und ich brauchte auch nicht weit zu gehen. Der große Raum befand sich in der unteren Etage.
Ich stieß die Tür auf und schaltete das Licht ein. Zwei große Kühlschränke enthielten Lebensmittel. Ich zog eine Tür auf und die Flaschen mit Wasser, Bier, Säften und Milch. Normale Mineralwasser brauchte ich jetzt. Dazu aß ich ein Stück Weichkäse.
Der Tote lag noch immer in der Halle. Auch jetzt spürte ich kein Verlangen, die Mordkommission anzurufen. Diesen Fall mußte ich allein durchstehen. Der Fallbeil-Mann hatte sich nur zurückgezogen, völlig verschwunden war er nicht.
Ich hätte nach oben gehen, mich duschen und rasieren können, doch mir war nicht danach. Dafür trat ich ans Küchenfenster und schaute nach draußen, wo die Natur allmählich wieder erwachte. Die Morgendämmerung bahnte sich ihren Weg, während ich auf die ersten Sonnenstrahlen hoffte, die den Nebel wegdampften, aber das würde wohl nur ein Wunsch bleiben. Ich glaubte einfach nicht daran, daß ein klarer Tag vor mir lag. Er würde trübe
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