0959 - Der Fallbeil-Mann
in seinem Griff.
Das Jammern störte ihn nicht. Carlos wollte sich nicht ablenken lassen und erklärte dem Henker, daß er bald dem Teufel die Hand reichen konnte.
Die Beine des Fallbeil-Manns rutschten über die Kante des Lagers hinweg und prallten zu Boden. Unter den Achselhöhlen hielt Carlos den Mann fest. Der Haß auf ihn war unbeschreiblich. Er stellte sich wieder vor, wie dieser Mensch Lady Edwina angefallen hatte, wie ein Tier, und er hätte ihn am liebsten schon jetzt erstochen.
Nein, nur das nicht. Er wollte den Kopf. Er wollte so etwas wie eine Siegestrophäe, um sie zeigen zu können. »Ich werde der Sieger sein, Henker. Du wirst nicht mehr die Gunst der Nonnen und frommen Frauen ausnutzen können, das verspreche ich dir hoch und heilig.« Plötzlich fing er an zu lachen. Er schüttelte sich dabei und ruckartig schleifte er den Mann weiter.
Neben dem Fallbeil legte er ihn zu Boden. Carlos wollte sich die Mechanik noch einmal anschauen. Er holte die Kerze näher heran, damit leuchtete er den Haltebalken ab, sah die scharfe Klinge dort oben und gruselte sich.
Sie würde mit einem Schlag den Kopf vom Körper trennen, und so war es auch gewollt.
Er kümmerte sich wieder um Bucheron. Dem war es sogar gelungen, sich aufzurichten. Aus fiebrigen Augen blickte er in die Höhe, in das Gesicht seines Mörders. Carlos grinste nur.
Dann schnippte er mit den Fingern. Für ihn war es ein Zeichen, den Mann noch einmal zu packen, um ihn dann auf die Guillotine zu legen.
Wieder mußte er sich bücken. Er war sich seiner Sache sicher, zu sicher, und er hätte niemals mit einer Gegenwehr des anderen gerechnet.
Die aber trat ein.
Die Bewegung des rechten Arms konnte er nicht verhindern. Plötzlich griff der angeblich so schwache Mann zu. Seine Hand umklammerte den Griff des Degens und zerrte die Waffe mit einem Ruck aus der Scheide.
Carlos fluchte und sprang zurück.
Genau das war sein Fehler. So gab er dem Henker die Gelegenheit, auszuholen, was dieser mit aller ihm noch zur Verfügung stehender Kraft tat, und mit der gleichen Kraft ließ er die Klinge wieder nach vorn sausen, und er traf auch dort wo er hatte treffen wollen.
In den Bauch des Soldaten Carlos!
Schräg von unten nach oben war die Klinge in den Körper gefahren und hatte dort für innere Verletzungen gesorgt. Aus dem Mund des Henkers drang ein Lachen, während über Carlos’ Lippen das Blut quoll, er dabei zurücktaumelte und dann zusammensackte.
Bucheron war zufrieden…
***
Anna, die Oberin hatte die Kammer verlassen und war nicht weit fortgegangen. Neben ihr befand sich eine Nische in der Gangwand. Dort wurden eigentlich Fackeln und Kerzen aufbewahrt. Aber die waren verteilt worden, deshalb war die Nische leer, breit genug, um die Schwester aufzunehmen!
Sie wußte gar nichts mehr. Sie war völlig durcheinander. Sie fragte sich, ob alles richtig gemacht worden war, aber sie hatte das Gefühl, der Schatten des Bösen würde über sie und ihr Kloster hinwegstreichen, um alles in seine Gewalt zu bekommen.
Mord in diesen Mauern! Ja, er würde geschehen, und die Oberin wußte auch, daß sie nicht unschuldig daran war. Sie hatte es mit ihrem Trank versucht, denn sie hatte keinen anderen Ausweg mehr gewußt. Dieser Bucheron war ein Kind der Hölle. Nur Menschen, über die der Teufel seine schützende Hand hielt, konnten andere in die Mulde des Fallbeils legen und sie umbringen.
Das Schicksal würde ihn selbst ereilen. Carlos hatte es in die Hand genommen, und Carlos würde auch dafür sorgen, daß die Leiche auf Nimmerwiedersehen verschwand.
Anna stand in der Nische und betete. Sie flehte schon jetzt um Vergebung, weil sie wußte, welche Schuld sie auf sich geladen hatte.
Die Worte sprach sie so leise, daß sie kaum zu hören waren. Ihre gefalteten Hände wurden ihr schwer. Die Arme sackten nach unten.
Sie merkte, daß sie anfing zu zittern, und sie verließ die Nische, weil sie hören wollte, was in der Kammer geschah. Sehr dicht trat sie an die Tür heran, aber sie vernahm noch nichts. Es blieb so still. Dann hörte sie das Röcheln. Lebte der Henker noch? Die Oberin regte sich auf. Ihr Herz schlug jetzt schneller. Der Schweiß trat noch stärker aus den Poren, und ihre Hand zuckte bereits der Klinke entgegen.
Etwas stimmte nicht. In der Kammer schien nicht alles so gelaufen zu sein, wie sie und Carlos es sich vorgestellt hatten. Es hatte bestimmt Schwierigkeiten gegeben.
Die Neugierde und auch die Sorge waren so stark, daß sie die Frau
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