0959 - Der Fallbeil-Mann
zurückgehen, aber an diesem Abend dachte er nicht mehr daran, denn die Schmerzen wurden immer schlimmer. Sie fraßen ihn auf. Sie lösten seine Gedärme auf wie Säure. In der sitzenden Haltung preßten sie sich noch stärker durch seinen Körper, so da er gezwungen war, sich auf das Lager zu legen.
Schaum stand vor seinen Lippen. Er hielt ihn nicht davon ab, zum Satan zu beten. Er wollte Hilfe aus der Hölle. Immer wieder flehte er das Tier an, aber die Schmerzen linderten sich kaum. Einige Male schon hatte er sich bereits übergeben müssen. Keuchend und auch fluchend lag er rücklings auf seinem Lager. Die Welt um sich herum sah er nur verschwommen, als hätte man ein Tuch über seine Augen gelegt.
Irgendwann beruhigte er sich. Da aber lag draußen schon die Dunkelheit der Nacht über dem Land. Bucheron ahnte, daß sie irgendwann kommen würde, um nach ihm zu schauen, und darauf wartete er.
Der Schweiß war kalt geworden. Er klebte überall an seinem Körper. Er lag sogar zwischen seinen Fingerkuppen wie dichte Fäden aus Schleim.
Sein Gesicht zeigte nicht mehr die Anstrengung, er wimmerte nur noch leise vor sich hin.
Der Fallbeil-Mann war überzeugt davon, daß er eine sehr große Dosis Gift bekommen hatte. Andere waren daran zerbrochen, gestorben, aber er war eben etwas Besonderes.
Im Kloster war nichts zu hören. Die Nonnen lagen wahrscheinlich in ihren Kammern. Sollten sie, er würde sie nicht wecken, er wartete nur auf die eine, die Oberin.
Aber er vernahm auch ein anderes, ihm sehr gut bekanntes Geräusch.
Hufschlag drang durch die scheibenlose Luke seiner Kammer. Ein Reiter war gekommen. Der Henker glaubte nicht daran, daß es eine Nonne war, das mußte jemand anderer sein, ein Mann vielleicht.
Jemand vom Schloß. Der Henker grinste zum erstenmal seit Stunden, als er an das Schloß und auch an den Teich dachte.
Dort hatte er Edwina vergewaltigt, und er ärgerte sich jetzt, daß er sie nicht getötet hatte. Es war dumm gewesen, so hatte sie berichten können, und wahrscheinlich war man ihm schon auf die Schliche gekommen.
Zunächst aber geschah nichts. Er konnte auf seinem Lager liegenbleiben und sah über sich den Sehatten der aufgebauten Guillotine. Das Fallbeil war sein einziger Freund. Er beherrschte es. Es ließ ihn nicht im Stich, es hatte ihn noch nie im Stich gelassen, und es würde auch hier seine Pflicht tun, wenn es nötig war.
So leicht bekamen sie ihn nicht. Er hatte seinem Freund, dem Teufel Seelen versprochen, und die würde er liefern, auch wenn andere mit seinem Ableben gerechnet hatten.
In der Zelle stank es noch immer nach seinem Erbrochenen. Ein guter Geruch, wenn er daran dachte, daß er das verfluchte Gift damit ausgespien hatte oder zumindest einen Teil davon.
Leider ging es ihm noch schlecht. Er war schwach. Er würde Mühe haben sich auf den Beinen zu halten. Da ihm die Kraft fehlte, mußte er sie durch Raffinesse ausgleichen.
Die Stille in seiner Umgebung wurde zerstört, als sich jemand seinem Zimmer näherte. Der Henker lauschte. Jemand kam, aber er fragte sich, ob diese Person zu ihm wollte. Sicher war das nicht, denn in seiner Nähe befanden sich noch die Kammern, in denen die Nonnen ihre Vorräte gelagert hatten.
Doch, sie wollten zu ihm. Er hörte es genau. Der Fremde näherte sich der Holztür seiner Kammer zu - und stoppte davor. Und jemand hatte auch Licht mitgebracht, denn durch die Holzritzen schimmerte Kerzenlicht.
Wer war das? Die Oberin? Traute sie sich wirklich allein zu ihm? Der Henker atmete durch den offenen Mund.
Vor der Tür hörte er eine flüsternde Stimme. Sie gehörte einer Frau. Das mußte die Oberin sein. Da sie bestimmt nicht mit sich selbst redete, hatte sie jemand mitgebracht.
Obwohl die Schmerzen durch seinen Unterleib sägten, blieb er in der halb erhobenen Haltung auf seinem Lager liegen. Dann wurde die Tür nach innen gedrückt, und sie kratzte mit der Unterseite hörbar über den Boden. Ein Spalt entstand, in den das flackernde Licht einer Kerze hineindrang. Dahinter zeichnete sich die Gestalt der Oberin ab, und der Henker ließ sich wieder zurück auf sein Lager sinken.
Er wollte sich schwächer geben, als er tatsächlich war, verengte die Augen zu Schlitzen und starrte auf die Tür, die noch weiter aufgedrückt wurde, damit der Mann freie Bahn hatte, um die Kammer zu betreten.
Das Kerzenlicht reichte als Beleuchtung aus. Die Flamme bewegte sich, reckte sich dabei auch in die Höhe und glitt über die scharfe Schneide des
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