0959 - Der Fallbeil-Mann
über ihren eigenen Schatten springen ließen.
Obgleich sie vor Angst bebte, wagte sie es und öffnete die Tür.
Das Kratzen war nicht zu überhören. Holz schleifte über das nackte Gestein.
Dann konnte sie ihren Kopf durch den Spalt stecken. Das flackernde Licht ließ von der Tür aus nicht viel erkennen. Sie mußte schon in die Kammer hineingehen, aber sie wunderte sich, daß keiner der beiden Männer auf den Beinen stand und überhaupt Notiz von ihr nahm. Die Nonne verbreiterte den Spalt, um die Kammer betreten zu können.
Damit auch näher an das Licht heran.
Die Kerzenflamme warf einen Kreis. Hell genug, um beide Männerzu erkennen.
Einer lag auf dem Rücken. Es war Carlos. Und die Nonne sah, daß aus seinem Körper die Klinge des Degens ragte wie das Zeichen eines Sieges. Blut war aus dem Mund des Soldaten gedrungen und hatte das Gesicht verschmiert.
Die Oberin spürte eine Kälte, die sich in ihren Körper hineinfraß. So etwas hatte sie noch nicht erlebt. Sie war starr geworden wie Stein, und sie merkte, daß die Beine nachgaben.
Nur nicht schlappmachen. Nur nicht hinfallen, hämmerte sie sich ein.
Carlos ist tot, aber der andere scheint noch zu leben, sonst hätte er ihn nicht töten können.
ER LEBT! ER LEBT!
Die Angst war wie eine Peitsche, die ihren Rücken traf und sie vorantrieb. Genau auf das leise Stöhnen zu. Jetzt sah sie den Henker. Er lag neben seinem Fallbeil am Boden und war völlig fertig. Das Gift tobte noch immer in seinem Körper. Der Mord an Carlos mußte ihn wahnsinnig angestrengt haben.
Die Oberin sah, daß dieser schwere Mann hilflos vor ihren Füßen lag.
Sein Schicksal befand sich in ihrer Hand. Sie erkannte sich selbst kaum wieder, als sie den Kopf schüttelte und den Liegenden ansprach. »Du hast ihn getötet, deshalb werde ich dich vernichten. Du hast dein Leben verwirkt. Du bist jemand, der dem Teufel zugetan ist, und das darf nicht sein. Auf keinen Fall! Du bist der Mann, den man nicht vermißt. Nicht hier und auch nicht in deinem Land.«
Sie hatte das sagen müssen, um sich selbst zu beruhigen. Dann drehte sich die Frau langsam um. Sie war bereit, auch den letzten Schritt zugehen.
Da lag Carlos.
Er lebte nicht mehr, In seinem Leib steckte der eigene Degen.
Das Gesicht der Oberin wirkte hart und hölzern, als sie den Griff der Waffe mit beiden Händen umfaßte. Sie zog den Degen aus dem Körper hervor und drehte sich um. Daß noch Blut von der Spitze herab zu Boden tropfte, nahm sie nur am Rande wahr. Es interessierte sie auch nicht, wichtig war jetzt das, was sie tun mußte. Irgendwie würde es auch eine Erlösung für den Henker sein, denn er brauchte danach keine Schmerzen mehr zu erleiden.
Mit der Waffe in der Hand blieb sie vor dem Liegenden stehen, der sich wieder gefangen hatte, zwar noch unter Schmerzen litt, aber seine Umgebung mitbekam.
Er sah die Oberin. Und er sah den Degen, den sie noch immer mit beiden Händen festhielt.
Er wußte Bescheid. Das Sprechen strengte ihn an. Mühsam rang er sich die Worte ab. »Du willst mich töten?«
»Ich muß es tun!«
»Du, eine Nonne?«
»Der Allmächtige wird mir verzeihen.«
Bucheron fing an zu kichern. »Dein Gott vielleicht. Aber der Teufel nicht. Er wird dir nicht verzeihen, denn du willst einen seiner Diener töten. Das ist es, was dich umbringen wird. Der Teufel wird dir auf den Fersen bleiben, ich schwöre es dir. Er ist stärker als dein verfluchter Gott. Überlege es dir, dann hast du…«
»Ich weiß, was ich tue!« erklärte die Oberin und hob die Waffe an. Sie bewegte sich auf den Kopf des Henkers zu, der einsah, daß all sein Reden keinen Sinn hatte. Er versuchte zu grinsen, er versuchte irgendetwas zu tun, aber er schaffte es nicht, die Frau von ihrem Vorsatz abzubringen.
Zweimal stieß sie zu.
Und zweimal traf sie den Hals des Henkers.
Dann brach sie ebenfalls zusammen,
***
Zwei Stunden später.
Die Nacht war sehr finster, und das kam den Nonnen entgegen, die das Kloster verlassen hatten. Ihr Ziel war der Schloßteich. Der einzige Ort, wo die beiden Toten und dieses verdammte Fallbeil spurlos verschwinden konnten. Nichts sollte mehr an die Bluttaten erinnern.
Das Schloß war leer. Das Personal würde schlafen, ebenso wie Lady Edwina. So war es überhaupt kein Problem, sich in den Schloßgarten zu schleichen und an den Teich heranzukommen.
Die Oberin hatte, nachdem sie sich wieder besser fühlte, die Schwestern zusammenkommen lassen und ihnen alles erklärt. Jede machte mit.
Jede
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