0959 - Der Fallbeil-Mann
daß es durch die Halle schallte. »Polizei? Von wem sprechen Sie? Von unseren Dorfpolizisten?«
»Zum Beispiel.«
»Nichts«, sagte er, »die haben damit nichts zu tun, wenn Sie verstehen. Die würden es auch nicht begreifen. Zudem haben sie selbst Angst vor gewissen Dingen.«
Ich konnte mich nur wundern. »Aber es sind mehrere Morde passiert. Sie müssen doch etwas getan haben!«
»Habe ich auch, Mr. Sinclair. Ich habe mich mit Sir James, Ihrem Chef, in Verbindung gesetzt.«
»Das ist mir bekannt. Aber vorher ist auch schon etwas passiert. Da hat es ebenfalls Tote gegeben, sonst wäre ich nicht hier. Sie müssen dort reagiert haben.«
»Natürlich. Aber hier bleibt alles unter uns. Das ist nicht wie bei Ihnen in London. Und Sie werden das gleiche tun wie ich, das rate ich Ihnen sehr.«
»Was ist das denn?«
»Wir haben hier Telefon. Das Kloster hat ebenfalls Telefon. Rufen Sie dort an und sagen Sie der Oberin, daß Sie ein weiteres Opfer abholen muß. Sie hat das schon zweimal getan, glauben Sie mir.«
Ich verzog das Gesicht wie nach einem Schluck Zitronensaft. »Die Nonnen haben die Toten abgeholt, einschließlich des Touristen?«
»So ist es.«
»Und weiter?«
»Man hat sie begraben. Man wird eine Messe für die Toten gehalten haben. Man spricht Gebete, wie das nun mal so ist, Mr. Sinclair. Aber das brauche ich Ihnen nicht zu sagen.« Er klopfte mir gegen den Arm. »Ich kann Ihren Schreck verstehen, den Sie bekommen haben, und freuen Sie sich darüber, das ich auch noch hier bin.«
»Wie meinen Sie das?«
»Ich werde Ihnen dann wohl ein Stück Arbeit abnehmen und selbst im Kloster anrufen. Ist das ein guter Vorschlag?«
»Haben Sie es immer so gehalten?«
»Wenn es nötig war, schon.«
Ich schüttelte den Kopf. Das Leben bot immer wieder neue Überraschungen, und ich fragte mich, ob ich dieses »Spiel« mitmachen sollte.
Schließlich war ich Polizist, doch wir befanden uns hier nicht in London, sondern auf dem flachen Land, wo noch immer eigene Gesetze herrschten, mit denen die Bewohner bisher wohl gut zurechtgekommen waren.
Okay, sie brauchten ihre Polizei, aber nur, wenn es um ganz normale Fälle ging: Diebstahl, Autounfälle, Streit unter Nachbarn. Bei normalen Morden wurden die Kollegen auch eingesetzt, aber hier war kein normaler Fall. Da reagierte man eher hilflos.
Wenn ich das alles in Betracht zog, glich es schon einem kleinen Wunder, daß sich der Lord bei meinem Chef gemeldet hatte, um Hilfe für seine Situation zu holen.
»Na, Mr. Sinclair, sind Sie zu einem Entschluß gelangt?«
»Ich weiß es noch nicht.«
»Lassen Sie es uns so machen wie immer. Ich werde die Dinge regeln.«
Der Lord stand auf. Er stützte sich dabei an den Armlehnen des Sessels ab. »Ich habe keinem gesagt, daß Sie hier sind, und Sie sollten sich, wenn die Nonnen kommen, um ihre Schwester abzuholen, auch nicht unbedingt zeigen. Bleiben Sie auf Ihrem Zimmer - und nehmen Sie sich eine Flasche Whisky mit. Er tötet auch Ihre Sorgen. Unternehmen können Sie sowieso nicht viel.«
»Warum sagen Sie das?«
Sir Vincent war neben einem schwarzen Telefon stehengeblieben.
»Warum ich Ihnen das sage? Weil es zu den Spielregeln gehört, die hier herrschen.«
»Wenn Sie das denken, hätten Sie mich erst gar nicht herkommen lassen dürfen.«
Er überlegte. »Eigentlich schon. Da haben Sie recht. Wir hätten Sie nicht herkommen lassen dürfen, wie auch immer. Aber Sir James war davon überzeugt, daß Sie die Fälle lösen werden. Ich weiß nicht, wie Sie jetzt darüber denken, doch es wird nicht leicht sein. Sie müssen uralte Gesetze brechen und das auslöschen, was einmal in der Vergangenheit geschehen ist.«
»Das hört sich nach einem alten. Fluch an.«
»Hm.« Der Lord überlegte. »Vielleicht ist es auch ein alter Fluch. Sehen Sie, der Fallbeil-Mann ist ein Henker. Er hat viele Menschen auf dem Gewissen, und er kann keine Ruhe finden. Er geistert umher und muß erneut töten. Das ist sein Schicksal. Einer muß kommen, um ihn davon zu befreien. Erst dann werden wir Ruhe haben.«
»So wie Sie das gesagt haben, hört es sich an, als wüßten Sie mehr, Sir Vincent.«
»Ich weiß zuwenig. Ich weiß auch nicht, warum er gerade die Nonnen tötet. Ich habe schon überlegt und in der Chronik dieses Hauses nachgeschaut, aber es gab keinen Hinweis auf den Fallbeil-Mann. Von hier ist er wohl nicht gekommen.«
»Kann es denn sein, daß man ihn bewußt nicht erwähnt hat?«
»Sehr gut, Mr. Sinclair, das ist durchaus
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