0959 - Der Fallbeil-Mann
keinen Kopf mehr. Wenig später schlug der Torso mit einem dumpfen Laut zwischen mir und dem Haus auf den Boden auf, wo er liegenblieb.
Innerlich zitterte ich, denn dieses Schauspiel hatte mich arg mitgenommen.
Noch verließ ich meinen Beobachtungsposten nicht, weil ich sehen wollte, was auf dem Dach passierte.
Dort geschah etwas.
Woher das rote Leuchten kam, wußte ich nicht. Jedenfalls erinnerte es mich an einen plötzlichen Gruß aus der Hölle. Es war wie das Glühen des Feuers oder das Abendrot. Die Farbe durchbrach die Dunkelheit. Da störte auch nicht mehr der Dunst, denn die Gestalt dort oben zeichnete sich überdeutlich ab.
Der Fallbeil-Mann sah aus wie ein alter Henker. Nackter Oberkörper, eine Kapuze über dem Kopf, und neben sich hatte er die Guillotine stehen.
Dann war er weg.
Die Nacht und der Dunst hatten ihn verschluckt. Das rote Leuchten war verschwunden, die Normalität der Nacht hatte uns wieder, aber es gab eine Veränderung.
Langsam ließ ich die angehaltene Luft ausströmen. Mir rann es ebenfalls kalt den Rücken hinab, was nicht unbedingt mit der Kühle der Nacht zu tun hatte. Diese Kälte kam von innen. Das Wissen um den Fallbeil-Mann hatte dafür gesorgt, und ich merkte, wie ich zu frieren anfing.
Ich kletterte den Mauerrest wieder hinunter. Mit staksigen Schritten ging ich dorthin, wo der Torso liegen mußte. Auf dem Boden zeichnete er sich als dunkler Gegenstand ab. Aus einer gewissen Entfernung sah er aus wie ein Sack, aber ich wußte, daß dem nicht so war. Ich hatte den Körper fallen sehen, und ich stand dann vor ihm.
Diesmal holte ich die kleine Lampe hervor. Der Strahl wanderte über einen Torso hinweg, und in seinem Schein schimmerte auch das Blut wie ein makrabrer Gruß.
Die Nonne trug noch ihre Tracht. Das fiel mir auf. Ich dachte daran, daß der Kopf auch von der Haube verdeckt war, und jetzt sah ich ihre schwarze Kutte.
In meinem Hals hatte sich der Kloß festgesetzt. Der Schweiß stand mir auf der Stirn. Selbst die kühle Umgebung konnte ihn nicht trocknen oder zurückhalten.
Ich schaltete die Lampe aus und ging mit sehr langsamen Schritten wieder zurück zur Eingangstür. Kein Muskel zuckte dabei in meinem Gesicht. In dieser Nacht hatte der Fallbeil-Mann wieder zugeschlagen und mir das Opfer praktisch vor die Füße gelegt. Und wieder war es eine Nonne aus dem nahen Kloster gewesen. Da mußte es einfach einen Zusammenhang geben, über den ich mit dem Lord unbedingt sprechen mußte, falls dieser dazu in der Lage war und seinen Kummer nicht schon weiter in Whisky ertränkt hatte.
Ich drückte mit der rechten Schulter die schwere Tür auf. In der Halle hatte sich auf den ersten Blick hin nichts verändert. Noch immer brannte unter der Decke das Licht, und in seinem Zentrum hockte Lord Vincent Mosley.
Er regte sich nicht, als er meine Schritte hörte, denn ich ging direkt auf ihn zu. Neben dem Sessel blieb ich stehen. Der Lord hielt das Glas mit Whisky in der Hand, ohne zu trinken. Er hatte mich endlich bemerkt und drehte den Kopf. »Sie waren draußen, Mr. Sinclair?« Er sagte die Worte mit schwerer Stimme. »In der Tat, Sir!«
Er nickte. »Haben Sie auch etwas gesehen? Vielleicht ihn, den Fallbeil-Mann?«
»Was denken Sie?«
»Ach, fragen Sie nicht. Ich habe mir das Denken abgewöhnt.«
»Gut, dann werde ich mit offenen Karten spielen, Sir Vincent. Ja, ich habe ihn gesehen.«
»Sehr gut.«
»Kennen Sie ihn?«
Es dauerte eine Weile, bis er nickte. »Ja, ich sah ihn des öfteren. Er ist nicht nur der Fallbeil-Mann, er ist auch ein Henker. Oder wie ein alter Henker gekleidet. Mit einem nackten Oberkörper, mit einer schwarzen Kapuze über dem Kopf, mit einer engen Hose. So sieht er doch aus oder?«
»Richtig.«
»Er ist unser Hausgespenst.«
»Wenn Sie davon überzeugt sind, kann ich dagegen nichts sagen, Sir. Aber er ist auch ein Nonnentöter.«
Sir Vincent nahm einen Schluck. Dann stellte er das Glas laut auf den Tisch. Er streckte den jetzt freien Arm aus und deutete auf den Kamin.
»Der Kopf, der dort liegt, gehört er wieder einer Nonne, Mr. Sinclair?«
»Ja. Und draußen liegt der Torso. Ein Rumpf ohne Kopf, wenn Sie verstehen, Sir.«
»Sicher, das kenne ich ja.« Er kicherte. »Ich bin es gewohnt. Es ist nicht das erste Mal.«
»Das hört sich an, als wüßten sie Bescheid.«
»Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe alles nur hingenommen, bis jetzt. Was soll ich sonst machen?«
»Die Polizei rufen?«
Auf einmal lachte er so laut,
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