096 - Der grüne Leichnam
erstarb augenblicklich, als ich daran dachte, daß ich Coco verlassen mußte.
Plötzlich hatte ich es nicht mehr so eilig damit. Es kam nicht auf einen Tag mehr oder weniger an. Nein, das stimmte nicht; ich belog mich selbst. Je länger ich mit Coco zusammenbleiben würde, um so schwerer würde mir schließlich der Abschied fallen. Ich mußte hart bleiben. Ich durfte keine Schwäche zeigen - ja, mir keine leisten.
Meine gute Laune verflog. Mißmutig kroch ich aus dem Bett. Viel hatte ich nicht zu erledigen. Ich konnte gegen Abend losfahren.
Meine Stimmung hatte sich um nichts gebessert, als ich eine halbe Stunde später ins Frühstückszimmer trat. Ich mußte mich zurückhalten, sonst hätte ich Coco strahlend begrüßt; so drückte ich ihr nur einen flüchtigen Kuß auf die Stirn und setzte mich. Sie war nicht allein; Trevor Sullivan und Abi Flindt leisteten ihr Gesellschaft.
„Ich habe gerade einige Meldungen vorgelesen, die ich über Luguris neueste Untaten erhalten habe. Er tobt auf allen Kontinenten herum."
Trevor reichte mir die Fernschreiben, und ich blätterte sie flüchtig durch.
„Luguri muß endlich das Handwerk gelegt werden", sagte ich grimmig und gab Trevor die Berichte zurück.
Niemand reagierte auf meine Bemerkung.
Während des ausgiebigen Frühstücks vermied ich das Thema Abreise. Abi Flindt warf mir immer wieder einen reservierten Blick zu. Ich gewann den Eindruck, er hatte etwas auf dem Herzen, doch irgend etwas hielt ihn zurück, darüber zu sprechen.
Ich steckte mir eine Zigarette an und wandte mich Abi zu. „Was hast du auf dem Herzen, Abi?"
Der blonde Däne zog die Brauen hoch. „Du bist nicht mehr bei der Magischen Bruderschaft, deshalb wird es dich wahrscheinlich nicht interessieren."
„Raus damit!" sagte ich.
Abi hob die Schultern. „Gestern abend fuhr ich zu George Mansfield. Er erzählte mir eine seltsame Geschichte. Hast du Tom Baine gekannt?"
Ich runzelte die Stirn. „Ja, ich kenne ihn. Er nahm gestern noch an der Faust-Beschwörung teil. Er saß neben mir. Was soll deine Frage bedeuten? Ist er vielleicht tot?"
Abi nickte grimmig. „Er ist tot. Und die Umstände seines Todes sind geheimnisvoll. Schwarze Magie ist mit im Spiel."
Jetzt war meine Neugierde geweckt. Tom Baine war ein vermögender Mann gewesen, der es nicht nötig gehabt hatte, zu arbeiten. Sein ganzes Interesse hatte seiner jungen Frau und der Magie gegolten.
„Erzähle, Abi!" bat ich.
„Es ereignete sich eine Stunde, nachdem du den Tempel verlassen hattest. Tom Baine fuhr nach Hause. Ihm war schlecht, als er seine Frau begrüßte. Sein Gesicht sah grünlich aus. Er konnte nur mühsam sprechen. Baines Frau wollte einen Arzt verständigen, doch davon wollte Tom nichts wissen. Aber sein Zustand verschlechterte sich immer mehr. Er tobte im Wohnzimmer herum, warf Kästen, Tische und Stühle um, dann brach er tot zusammen. Baines Frau wußte sich keinen Rat. Sie rief Mansfield an, der zu ihr fuhr. Tom war tatsächlich tot. Seine Haut hatte sich grün verfärbt. Mansfield wollte einen Arzt verständigen, doch Muriel, das ist Baines Frau, war dagegen. Sie warf Mansfield aus dem Haus und verhielt sich plötzlich auch sehr seltsam."
Ich drückte die Zigarette aus.
„Seine Haut wurde grün", wiederholte ich nachdenklich. „Sprich weiter, Abi!"
„Ich fuhr mit Mansfield zu Baines Haus, doch Muriel machte uns nicht auf. Wir sahen aber Licht im Haus. Das Gartentor stand offen, und wir traten ein. In einem Zimmer im Erdgeschoß sahen wir dann Muriel. Sie hatte die Vorhänge nicht vorgezogen. Ein offener schwarzer Sarg war zu sehen. Auf zwei Ständern brannten Kerzen. Muriel kniete vor dem Sarg. Wir klopften an die Fensterscheiben, doch sie tat so, als würde sie uns nicht hören."
„Und was habt ihr danach getan?"
„Wir sind gegangen. Was hätten wir sonst tun sollen?"
„Hm", brummte ich und griff nach der Kaffeetasse.
Gestern hatte Baine noch an der Beschwörung teilgenommen. Eine Stunde später war er tot gewesen. Mir fiel ein, daß ich mich im Taxi beobachtet gefühlt hatte. Bestand da vielleicht ein Zusammenhang? Auf jeden Fall war es verdächtig, daß gerade Tom Baine gestorben war, noch dazu unter reichlich mysteriösen Umständen. Es hatte wenig Sinn, jetzt einfach aus London fortzufahren. Das kam im Augenblick nicht in Frage. Ich mußte zuerst wissen, welche Teufelei da im Gange war. Das Verhalten von Baines Frau wollte mir überhaupt nicht gefallen. Jeder andere Mensch hätte den Arzt
Weitere Kostenlose Bücher