096 - In Soho regiert der Tod
Linda nicht.
Im Gegenteil, auf diese Weise konnte sie ihren Gefühlen besser freien Lauf lassen.
Ralph küßte ihre Wange. Seine Lippen glitten weiter zu ihrem Hals, und als er sanft zubiß, kicherte Linda, stieß ihn zurück und sagte: »Hör auf, du Vampir.«
Ralph grinste und leckte sich mit gespielter Gier die Lippen. »Ich möchte dein Blut trinken, Baby.«
»Hol dir lieber einen Scotch«, empfahl sie ihm.
»Ein schwacher Ersatz, aber bitte«, sagte er und strich liebevoll über ihr blondes Haar. »Du auch noch einen?«
»Ich weiß nicht, ich bin schon ein bißchen angesäuselt.«
»Ist doch wunderbar, wenn wir es beide sind«, sagte Ralph schmunzelnd. Er nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und legte seine Stirn auf ihre. Aus nächster Nähe blickte er in ihre Augen. »Oder befürchtest du, etwas zu tun, das du bereuen könntest, wenn du wieder nüchtern bist?«
»Es gibt nichts, was ich bereuen würde«, flüsterte sie und errötete leicht.
Er wollte seine Hand in ihre Bluse schieben, doch sie griff schnell danach und schüttelte den Kopf. »Nein, Ralph.«
»Sagtest du nicht, es gebe nichts, was du bereuen würdest?« fragte er.
»Ich möchte nicht, daß du das vor allen tust«, sagte sie leise, kaum hörbar. »Wenn wir allein wären, wäre das etwas anderes.«
»Wo ist man bei so vielen Leuten schon allein?« brummte Ralph Gilling.
Sie hob den Blick, schaute zur Decke und meinte schmunzelnd: »Nun, zum Beispiel im Obergeschoß.«
»Thelma hat ausdrücklich gesagt, daß da niemand hinauf darf.«
»Dieses Verbot gilt nicht für uns«, sagte Linda George.
Er zog die Fingerspitzen aus ihrer Bluse und schaute sie ernst an. »Würdest du mit mir nach oben gehen, Linda?«
»Möchtest du es?«
»Ich wünsche mir nichts sehnlicher«, gab er zu, und seine Finger drückten innig ihre Hand.
»Ich glaube, ich sollte dir diesen Wunsch erfüllen«, hauchte Linda. »Weil ich weiß, daß du mich ebenso sehr liebst wie ich dich.«
»O ja, das tue ich. Ich schwöre es.«
»Du brauchst nicht zu schwören. Ich fühle es. Deshalb werde ich mit dir jetzt noch einen Scotch trinken und dann nach oben vorausgehen, damit es die anderen nicht mitbekommen.«
»He, Ralph!« sagte Slim Baker grinsend. »Du läßt Linda ja gar nicht mehr aus. Ich möchte auch mal mit ihr tanzen.«
Er trat zwischen die beiden und griff nach Linda, aber Ralph legte ihm unmißverständlich hart die Hand auf die Schulter. »Verzieh dich, Slim. Heute abend tanzt Linda ausschließlich mit mir. Beglück doch mal Nelly.«
»Diese Schreckschraube!« sagte Slim und zog die Mundwinkel nach unten. Aber er ließ Linda los, denn Ralph war kräftiger als er, und er war nicht scharf auf eine Tracht Prügel.
»Dafür beklagt sich Nelly nicht, wenn du ihr bei jedem dritten Takt auf die Füße latschst«, sagte Ralph belustigt.
Er drängte Slim beiseite und begab sich mit Linda zur Bar.
Wenig später stieß er mit ihr an und sagte: »Auf diese Nacht. Auf das, was gleich dort oben passieren wird. Auf uns.«
»Wirst du nicht schlecht von mir denken, wenn ich gleich am ersten Abend…«, begann Linda zögernd. »Ich möchte nicht, daß du mich für ein schlechtes Mädchen hältst, das mit jedem sofort ins Bett geht.«
Er drückte mit dem Zeigefinger leicht auf ihre Nase. »Kennen wir uns nicht schon sehr lange? Ich weiß, daß du ein anständiges Mädchen bist, Linda. Ich kenne dich sehr genau.«
Sie umarmte ihn glücklich, leerte ihr Glas und flüsterte. »Ich gehe jetzt nach oben.«
»Wann soll ich nachkommen?« fragte Ralph und küßte die Innenfläche ihrer Hand.
»Sobald du's nicht mehr aushältst«, antwortete sie lächelnd.
»Dann muß ich gleich mitgehen.«
»Zehn Minuten?« fragte Linda.
»Das ist aber auch das Äußerste«, gab Ralph zurück.
Sie löste sich sanft von ihm. Ihre schlanke Hand entglitt seinen Fingern, dann stahl sie sich unauffällig davon.
Die einzige, die es merkte, war Thelma. Wieder begegnete sie dem Blick ihrer Freundin, und sie erkannte darin deren Einverständnis.
Langsam stieg sie die Stufen hinauf. Sie vermeinte, auf Wolken zu gehen. Die Vorfreude ließ ihr Herz höher schlagen.
Sie würde heute nacht Ralph gehören, und es würde himmlisch sein. Eine unvergeßliche Nacht wollte sie mit Ralph verbringen, und viele solche Nächte würden folgen.
Linda erreichte das Obergeschoß. Sie hatte sich noch nie so großartig gefühlt. Oft schon hatte sie sich über die schwülstigen Schlagertexte lustig gemacht.
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