096 - Kreuzfahrt des Grauens
„Sehen Sie den Sonnenuntergang? Ein schwerer Sturm steht bevor. Dort braut sich das Unwetter zusammen, und in weniger als zwei Stunden wird es uns erreicht haben.“
In der Nähe saß Joel Batterman in einem Liegestuhl, der lange Texaner, dem Martin vor drei Tagen so unmißverständlich eine Abfuhr erteilt hatte. Neben Batterman hatten sich zwei mandeläugige Schönheiten niedergelassen, bei denen er mehr Wertschätzung zu genießen schien als bei Sue und Harriet. Batterman sah jetzt eine gute Gelegenheit, sich an Martin und Yanakawa zu rächen und seinen beiden Begleiterinnen zu imponieren.
„Hast du auch eine Ahnung von der christlichen Seefahrt, Opa?“ fuhr er den Chinesen an. „Was die beiden Nummern da angeht, so schadet es denen gar nichts, wenn sie mal tüchtig durch gerüttelt werden.“
Die beiden Philippinomädchen kicherten.
„Ah, ah“, sagte Yanakawa freundlich, „das ist doch jenes seltene Prachtexemplar der Rinderzucht, das du neulich in der Messe schon identifiziert hast. Merkwürdig, es hat gar keine Hörner.“
„Die wachsen nach innen“, sagte Martin. „Das können sie leicht, weil der Kopf hohl ist.“
Der Texaner erhob sich. Er trug eine Badehose. Sein Körper war tief braun gebrannt und er hatte um die Gürtellinie herum einige Kilo zu viel. Doch sonst sah er recht kräftig aus. Er kam in drohender Haltung näher.
„Was hast du gesagt?“ fragte er Yanakawa. „Gleich werfe ich dich über Bord, du Wicht.“
Yanakawa lächelte boshaft.
„Wie der Weise sagt: Hohle Schelle tönt am lautesten.“
Der Texaner fand, daß nun genug gesprochen worden sei. Er schlug einen rechten Uppercut und setzte links nach. Für einen Amateur, der sicher schon seit Jahren keine Übung mehr hatte, war er nicht schlecht. Aber für Yanakawa reichte es nicht.
Der Japaner wich dem Schlag geschickt aus und trat zur Seite. Das Lächeln wich nicht von seinem Gesicht.
„Vielleicht sollten Sie ein wenig ins Wasser gehen“, sagte er. „Das kühlt ab.“
Wütend griff der Texaner an. Diesmal wich Yanakawa nicht aus. Er tauchte unter den Fäusten des Texaners hindurch und dann ging alles blitzschnell. Der zierliche Japaner, der fast neunzig Pfund weniger wog als sein Gegner, stieß vor.
Er traf den langen Texaner blitzschnell mit einer Serie genau abgezirkelter, knallharter Handkanten- und Faustschläge. Battermans Arme sanken herab, und ein überraschter Ausdruck trat in sein Gesicht.
Yanakawa glitt elegant zurück und traf den Texaner mit einem harten Stoß in den Magen. Dann hebelte er den schweren Mann mit einem gekonnten Judowurf über die Schulter.
Batterman flog ins Schwimmbecken. Es spritzte und klatschte, und ein Wasserschwall kam über den Rand.
„Eine bildschöne Karatedemonstration“, sagte der alte Chinese. „Mein Kompliment. Die Exaktheit, mit der Sie arbeiten, habe ich nur selten bewundern können.“
„Du hast ihn doch nicht ernstlich verletzt?“ fragte Martin.
Yanakawa schüttelte den Kopf.
„Er wird eine Zeitlang Schmerzen haben“, sagte er. „Doch vielleicht wird ihn das lehren, nächstens etwas zurückhaltender zu sein und nicht auf seine Körpergröße- und kraft zu bauen.“
Batterman kletterte prustend und klatschnaß aus dem Becken. Er sah den Japaner an, aber er hatte keine Lust, es noch einmal zu probieren.
„Wir sprechen uns mal wieder“, sagte er mit verhaltener Wut. „Das werdet ihr mir büßen.“
„Geben Sie jetzt lieber Ruhe, Batterman“, warnte ihn Martin. „Seien Sie froh, daß Sie so billig davongekommen sind.“
Mit zornigen Bewegungen raffte Batterman seine Sachen zusammen. Ohne den beiden Mädchen einen Blick zu gönnen, schlich er davon. Sein Unterkiefer schmerzte, daß es bis ins Trommelfell stach, und seine linke Gesichtshälfte fühlte sich an, als hätte ein Pferd dagegen getreten.
Yanakawa war nicht eben sanft, wenn er sich zu verteidigen hatte, doch immerhin waren Battermans Knochen noch heil. Martin wußte, daß der zierliche Japaner Batterman sehr geschont hatte.
„Darf ich mir die Ehre erlauben, Sie beide zu einer bescheidenen Mahlzeit in meiner Kabine einzuladen?“ fragte der alte Chinese.
Nun hatten Martin und Yanakawa zwar mit Sue und Harriet in der Messe dinieren wollen, aber sie durften den Alten nicht vor den Kopf stoßen, indem sie seine Einladung ablehnten. Nach der Tradition, in der er erzogen war, wäre so etwas ein schwerer Verstoß gegen die Etikette gewesen.
„Wenn wir zwei Begleiterinnen mitbringen dürfen?“
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