0968 - Die Greise von Eden
sind wir?«
»Das hast du vergessen?« Er wirkte beunruhigt, nachdem einen Atemzug zuvor noch die Erleichterung über ihr Erwachen überwogen hatte.
Sie schüttelte den Kopf. Ihr brummte der Schädel, als hätte sie Unmengen Alkohol konsumiert und erst einen guinnessbuchreifen Rausch ausschlafen müssen. »Nicht vergessen. Aber meine Erinnerung stimmt nicht mit dem überein, wie du dich mir präsentierst. Oder spielst du mir dein verboten gutes Befinden nur vor? Kann man so etwas vorspielen, nach allem, was…«
Sein Kopfschütteln bremste sie aus. »Du hast natürlich recht. Ich… ich war so was von im A…« Er verschluckte das Wort, das Nele schon millionenfach gehört und in etwa ebenso oft selbst benutzt hatte.
»Nur frei von der Leber weg«, ermutigte sie ihn.
Er schnitt eine Grimasse. »Ich dachte, er würde dich killen.«
»Das dachte ich auch.« Mit Unbehagen erinnerte sie sich an die Gewalt, die auf sie eingedroschen hatte. Sie nickte ihm zu. »Wieso geht es dir wieder so gut? Ich hatte dich - wenn mich nicht alles trügt - ziemlich fertiggemacht.«
Sein Blick wirkte plötzlich wie mit einem Schleier verhangen. Ihre Worte schienen Empfindungen neu zu entfachen, die er weit von sich geschoben hatte. »Ja«, murmelte er geistesabwesend. »Irgendwie hast du mich angezapft. Ich wusste gar nicht, dass du das kannst.«
»Ich wusste es selbst nicht.« Sie hoffte, dass es glaubhaft klang, denn es war die schlichte Wahrheit. »Wer hat mich hierher gebracht? Du? Die Salehs?«
»Einer von ihnen. Der andere…« Hogarth fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. »Der andere war nicht dazu in der Lage. Es war sein Sohn, den das… Ding mitgenommen hat.«
Eine Weile herrschte unangenehmes Schweigen zwischen ihnen.
Dann kippte Hogarth vor Neles Augen um und schlug hart zu Boden, wo er sich nicht mehr rührte.
Für einen Moment war sie wie vom Donner gerührt. Dann schlüpfte sie aus dem Bett und eilte zu ihm. Geschmeidiger als es ihr ein fremder Betrachter zugetraut hätte, ging sie neben Paul in die Hocke und tastete nach seiner Halsschlagader.
Sie schauderte, als sie vergeblich den Puls zu finden versuchte.
Tot?
Ungläubig probierte sie es weiter. Er hatte wie das blühende Leben ausgesehen, bevor er einfach umgefallen war.
Aber sie täuschte sich nicht. Wohin sie die Fingerkuppen mit sanftem Druck auch gleiten ließ, nirgends war auch nur das schwächste Pochen zu fühlen!
Sie merkte kaum, wie sich die Tür öffnete und jemand eintrat.
Erst die Stimme von Bayan Saleh schaffte es, sie aus ihrem tranceartigen Schock zu lösen.
»Mach dir keine Sorgen, alte Frau, das passiert öfter - wir müssen uns wohl daran gewöhnen. Und er auch.«
***
An was gewöhnen? Ans Sterben?
Sie fragte sich, ob es Leute geben konnte, die noch zynischer mit dem Tod umzugehen vermochten als sie selbst.
In den einsamen Jahrhunderten, bevor Zamorra den Fluch von ihr genommen hatte (hatte er das überhaupt oder präsentierte er sich gerade - sie blickte auf Paul - in neuem Gewand?), hatte sie oft genug andere Menschen mit vergleichbaren Äußerungen brüskiert, wie es gerade Bayan Saleh praktizierte.
Sie schluckte die Verwünschung, die ihr auf der Zunge lag, hinunter. Gleichzeitig legte sie sich Paul so zurecht, dass sie mit einer Herzmassage beginnen konnte. Sie würde nicht tatenlos zusehen, wie er von ihr ging!
Während sie die Hände übereinander legte und Kraft für die pumpende Bewegung sammelte, trat Bayan näher und legte eine seiner behandschuhten Hände auf ihre Schultern. »Unnötig«, sagte er - was sie als weiteren Affront verstand.
»Das entscheide ich selbst!«
»Ich meine damit nicht, dass er es nicht wert wäre.«
»Sondern?« Sie setzte erneut an.
»Er wird gleich wieder die Augen aufschlagen.«
»Er ist tot .«
»Das war er schon einige Male.«
Sie blickte zunehmend verständnisloser zu ihm auf.
Plötzlich kam ihr Paul entgegen, richtete sich ruckartig auf.
Fluchte.
»Scheiße, schon wieder…?«
Nele begriff immer weniger. »He, du hattest keinen Puls mehr! Ich dachte -«
»Er war tot«, sagte Bayan.
»Idiot!«, warf sie ihm an den Kopf. Dann widmete sie sich Hogarth. »An allem bin ich schuld, stimmt's? Das sind die Folgen dessen, was ich dir antat, als -«
»Das glaube ich nicht«, sagte Bayan.
»Wärst du so freundlich, mir zu übersetzen, was der Typ von sich gibt?«, bat Hogarth knurrig.
»Du verstehst ihn nicht?«
»Ich spreche nicht arabisch.«
»Ich auch nicht.«
»Eben.
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