097 - Die Todestür
war gebannt und konnte die eigenen übernatürlichen Fähigkeiten nicht anwenden. Aber da griff ich ein. Mich konnte die schwarze Wolke nicht lähmen. Ich spürte, wie ein Kraftstrom zwischen mir und dem Ys-Spiegel pulsierte.
Ich nahm den Ys-Spiegel aus der Tasche. Es war, als wäre meine Hand aus zentnerschwerem Blei; es machte mir die größte Mühe, sie zu heben. Meine ganze Willenskraft aufbietend, brachte ich den Ys-Spiegel in Augenhöhe.
Coco stand jetzt mitten in dem höhlenartigen Raum, in dem sich der Staub gesetzt hatte. Die Staubschicht reichte bis zu ihren Knien. Ihr Gesicht war angstverzerrt.
„Mein Kind!" stöhnte sie. „Es spürt, daß ich verloren bin, und ist verzweifelt. Hilfe! Hilfe!"
Ich konzentrierte mich auf den Ys-Spiegel und spürte, wie meine geistigen Kräfte in ihn hineinflossen und von ihm reflektiert wurden. Metaphysische Energien wurden entfesselt. Ich wußte nicht, wie der Ys-Spiegel wirkte, noch woher er stammte. Vielleicht hatte dieses mächtige magische Amulett seinen Ursprung in Dimensionen und Bereichen, die sich nur durch die Magie erreichen ließen. Ich schaute auf die Seite des Spiegels, auf der sich die Symbole des Guten befanden. So viel wußte ich schon. Die andere - böse - Seite des Spiegels, war von mir abgewandt. Sie trug Symbole des Bösen, Zeichen und Linien, die nichts auf dieser Welt ähnelten.
Ich konzentrierte mich darauf, die schwarze Wolke zu vernichten oder wenigstens zu vertreiben. Worte in einer unbekannten Sprache kamen aus meinem Mund, ohne daß ich ihren Sinn verstand. Vielleicht standen sie auf dem Spiegel. Sie bildeten eine mächtige magische Formel, die die Wirkung des Ys-Spiegels verstärkte.
Ein Aufschrei erscholl, und ich spürte, daß die Schwarzen Seelen von panischem Schrecken erfüllt wurden. Ein Wirbel entstand in der Luft, und die dunkle Wolke flutete zurück.
Coco zerfiel nicht, sah vielmehr staunend zu mir hin.
Die schwarze Wolke löste sich in einzelne Streifen auf. Die Streifen zogen sich in die Höhlen und Nischen. Die unheimlichen Augen flüchteten. Der Boden bebte.
Ich beherrschte den Ys-Spiegel keineswegs vollkommen. Bei seinem Einsatz kam es immer wieder zu Nebenerscheinungen. Deshalb benutzte ich den Ys-Spiegel auch nur in außerordentlichen Fällen. Außerdem entzog mir der Spiegel Kräfte. Jeder Einsatz zehrte an meiner Lebensenergie.
Coco wankte aus dem schrecklichen Raum hinter der Tür mit dem Löwenkopf. Ich steckte den Ys- Spiegel in die Tasche und warf die Tür zu. Meine Knie waren weich wie Pudding. Ich fühlte mich, als hätte ich einen harten und langen Arbeitstag und einen Marathonlauf hinter mir.
Dabei hatte ich den Ys-Spiegel diesmal nicht besonders lange eingesetzt.
Ich stützte Coco, und wir verließen den Keller. Anthony Trelawney konnten wir nicht mehr helfen, und die entführten Kinder waren nicht auf Schloß Drake.
Bestimmt hatte die Wolke der Schwarzen Seelen nachts im Schloß herumgespukt und sich Menschen, die sich hierher verirrt hatten, als Opfer geholt. Trelawney war verschont worden, weil er gebraucht wurde. Bis er sich in den Todesraum wagte, meinem hypnotischen Befehl folgend, und die Grenze übertrat, die ihm zu überschreiten verboten war.
Wir bemerkten Risse in den Mauern. Der Einsatz des Ys-Spiegels hatte Schloß Drake in seinen Grundfesten erschüttert.
Coco und ich holten unsere Sachen und verließen das Schloß. Es dämmerte, als wir den Berg hinuntergingen, auf den Ort Dunnegan zu. Von hier wollten wir telefonisch mit Fred Archer, Trevor Sullivan, Myrtle Williams und ihren Freaks Verbindung aufnehmen. Vielleicht würden wir Dunnegan noch am gleichen Abend verlassen.
Den Einwohnern des Ortes wollte ich nicht berichten, was auf dem Schloß vorgefallen war, sondern sie nur warnen, dieses zu betreten. Aber dieser Warnung bedurfte es eigentlich gar nicht. Die Waliser in dieser Gegend waren abergläubisch genug.
Fred Archer und Trevor Sullivan hatten sich Schloß Lion in der Nähe von Barnstable in Devon vorgenommen. Sie legten die dreihundertzwanzig Kilometer von London bis dahin in Fred Archers Bentley zurück. An dem gleichen Vormittag, an dem Dorian Hunter und Coco Zamis Schloß Drake aufsuchten, fuhren sie zum Schloß Lion hinauf. Einheimische hatten sie gewarnt. Auf Schloß Lion lebte niemand, und es war halb zerfallen.
Fred Archer stieg aus und öffnete die Tür. Dann fuhr er den Wagen in den verschneiten Innenhof des Schlosses und parkte ihn dort.
Der Wind heulte wie ein
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