0973 - Das verfluchte Volk
Hieb mit einem Speer unterbrach sein Gezeter und trieb ihn weiter vorwärts.
Die Sonne ging unter, und wir liefen immer noch. Schließlich, als wir kaum noch fähig waren, einen Fuß vor den anderen zu setzen, erreichten wir unser Ziel. Es war kein Dorf.
Es war eine Opferstätte.
Mitten im dichtesten Urwald hatten diese gottlosen Heiden eine riesige kreisrunde Fläche gerodet. Die Lichtung war umgeben von unzähligen dieser grässlichen, mit Dämonenfratzen verzierten Steinstelen, die wir schon kannten. Offenbar wurden wir erwartet, denn die Nacht wurde erhellt von einem Dutzend Fackeln, die diesem unheiligen Ort eine unpassende Feierlichkeit verliehen.
Im Hintergrund sahen wir ein großes, tempelartiges Gebäude. Den Mittelpunkt der Lichtung bildete jedoch eine rechteckige, aus groben Steinen zusammengefügte Plattform, die von allen vier Seiten über kleine Treppen zu erreichen war. Auf dieser Plattform befand sich neben weiteren, etwas kleineren Stelen ein wuchtiger Steintisch, und die dunklen Flecken an seinen Seiten ließen keinen Zweifel daran, wozu dieser Tisch in der Regel verwendet wurde.
»Das war’s«, flüsterte ich. »Sie werden uns hier das Herz aus der Brust reißen.«
Doch zu meiner Überraschung grinste Paco.
»Was ist los mit dir, Kerl, bist du verrückt geworden?«, presste ich zwischen den Lippen hervor. Doch sein Grinsen wurde nur noch breiter.
»Diese Heiden mögen ja große Krieger sein, aber von modernen Waffen haben sie keine Ahnung«, sagte er seelenruhig. »Ich habe einen großen Beutel Schwarzpulver in meiner Jacke. Sie haben mir mein Messer und den Revolver abgenommen, aber das Schwarzpulver haben sie nicht angerührt.«
»Was nützt uns das? Unsere Hände sind gefesselt.«
»Aber nicht mehr lange, Señor. Wer so oft mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist wie ich, entwickelt gewisse Fertigkeiten, wenn es darum geht, sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Vertrauen Sie mir!«
Die unheimlichen Krieger hatten immer noch kein Wort gesprochen. Jetzt griffen sich wahllos einen von uns heraus, durchschnitten seine Fesseln und stießen ihn zu der Plattform. Es war der hakennasige Paolo. Sie rissen dem Unglücklichen das Hemd von der Brust und banden ihn auf dem groben Steintisch fest. Wir anderen mussten uns am Fuße der Plattform auf den Boden kauern und dem Geschehen hilflos zusehen.
Vier der Maskenmännner entzündeten Feuerschalen an jeder Ecke der Plattform. Und dann begann das Ritual.
Unvermittelt begannen die Krieger mit einem unheimlichen, gutturalen Gesang. Dazu schlugen einige von ihnen auf Trommeln, die das grässliche Lied mit einem unheilvollen Rhythmus untermalten. Zwei Krieger brachten Keramikgefäße herbei, in denen sich zähflüssige Farben befanden. Sie tauchten ihre Finger hinein und bedeckten Paolos Oberkörper mit ihren heidnischen Symbolen. Plötzlich teilte sich die Reihe der Indianer, die die Opferstätte umringten, und eine Art Hohepriester erschien. Seine Maske war noch größer und furchterregender als die der anderen und sein ganzer Oberkörper war bedeckt mit Raubtierfellen und buntem Federschmuck.
Hinter ihm gingen drei kaum weniger auffällig zurechtgemachte Männer. Jeder der vier trug ein Tablett, auf dem sich eigenartige Gegenstände aus Metall befanden, Wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Das Objekt auf dem Tablett des Hohepriesters glich einem seltsam verschlungenen Rohr, dessen praktischen Nutzen ich mir beim besten Willen nicht vorstellen konnte. Selbst das mit weiteren Dämonenfratzen verzierte Material wirkte fremdartig. Aber es glänzte im Fackelschein so sehr, dass es äußerst wertvoll sein musste. Die drei anderen Gegenstände waren etwa faustgroße, silbrig schimmernde Kugeln, in die Symbole eingeritzt waren, die denen auf Paolos Brust glichen.
Der Gesang schwoll an, als der Hohepriester das bizarr geformte Metallrohr mit dramatischer Geste auf einer Stele direkt vor dem Kopfende des Opfertisches ablegte. Die drei anderen Männer platzierten die Kugeln auf drei weiteren Stelen, die zusammen die exakten Eckpunkte eines gleichschenkligen Dreiecks bildeten, in dessen Zentrum sich das rohrförmige Objekt befand.
Der Hohepriester riss die Arme hoch und der Gesang verstummte. Für einen Moment setzten auch die Trommeln aus -um dann schlagartig wieder einzusetzen und in wahre Raserei zu verfallen.
Und dann geschah etwas, das mich bis jetzt an meinem Verstand zweifeln lässt. Wie von Zauberhand erhoben sich die drei Kugeln in die
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