0975 - Die zweite Welle
fuhr er fort.
„Stolz?" rief der Fremde empört. „Das hat überhaupt nichts mit Stolz zu tun!"
„Womit dann?"
Der Fremde setzte zum Sprechen an, fühlte sich dann aber doch überrumpelt und wollte sich wütend abwenden.
„Warten Sie", bat Salik. „Vielleicht finde ich es auch so heraus. Ihre Vorfahren stammten aus dieser Gegend, nicht wahr?"
Der Mann blieb überrascht stehen.
„Ja", sagte er, ohne sich umzudrehen.
„Und Sie wollen mit Ihrer Familie genau da leben, wo auch Ihre Vorfahren heimisch waren", murmelte Salik wie zu sich selbst. „Ich kann das verstehen."
„Die Behörden können es aber nicht!" stieß der Fremde bitter hervor. „Wir sollen in eine Stadt ziehen, dort bekäme ich Arbeit - hier oben braucht man mich nicht."
„Was sind Sie von Beruf?"
Der Fremde drehte sich nun doch um.
„Hochenergietechniker", sagte er. „Jedenfalls war ich das auf Gäa. Als wir hierherkamen, waren alle passenden Stellen bereits vergeben. Für mich blieb nichts übrig."
„Aber Sie haben das Haus bekommen?"
„Ich habe es mir genommen. Nachdem wir einmal drinnen waren, konnte man uns nicht so schnell wieder hinauswerfen. Sie liefern uns alles, was wir brauchen, keine Luxusgüter, aber es würde ausreichen, um sorgenfrei leben zu können."
Der Fremde stockte, und Salik beschloß, an seiner Stelle fortzufahren.
„Man bietet Ihnen und Ihrer Frau zahlreiche Arbeitsmöglichkeiten an. Um sie zu nützen, müßten Sie jedoch von Tumain fortziehen, und das wollen Sie auf gar keinen Fall. Da Sie aber nun einmal in dem Haus wohnen, werden alle anfallenden Kosten auf Ihren Namen gebucht. Um nun Ihr Schuldenkonto so klein wie möglich zu halten, versuchen Sie, sich und Ihre Familie aus eigener Kraft zu versorgen."
Noch während er sprach, dachte er, daß man spätestens in einem Vierteljahr von so läppischen Dingen wie Tupaks Schulden kaum noch reden würde. Falls die Orbiter nicht dafür sorgten, daß die Menschen andere Sorgen hatten, dann würden die Weltraumbeben es tun.
Die Weltraumbeben!
Für einen Augenblick war er wie erstarrt unter der Wucht der Erkenntnis. Dann besann er sich darauf, daß er nicht alleine war, und er riß sich zu.sammen. Da stand der Fremde schon bei ihm und hielt ihn ängstlich an den Schultern fest.
„Was ist mit Ihnen?" fragte er besorgt. „Sind Sie krank? Sie haben Schmerzen, nicht wahr?"
Salik fragte sich beunruhigt, wie er in diesem Augenblick der Abwesenheit ausgesehen haben mochte, daß der Fremde eine derart heftige Reaktion zeigte.
„Mir geht es gut", wehrte er ab. „Es liegt wahrscheinlich an der dünnen Luft. Ich bin noch nicht daran gewöhnt."
Aber der Fremde war nicht so leicht zu beruhigen. Er bestand darauf, daß Salik ihn ins Haus begleiten und dort einen besonderen Tee trinken solle, den seine Frau nach einem alten Rezept zübereitet hatte. Salik willigte schließlich ein.
„Aber vorher", sagte er, „müssen Sie mir endlich verraten, wie Sie heißen „ „Tupak", sagte der Fremde. „Einfach nur Tupak. Früher hatte ich zwei Namen, aber ich habe den einen abgelegt, sobald ich nach Tumain kam."
Während er durch den kümmerlichen Garten ging, überlegte Salik, ob es nicht besser wäre, Tupak die volle Wahrheit zu sagen. Aber er wußte, daß er es nicht fertigbringen würde.
Er trank den Tee und hörte Tupak zu, der seltsamerweise jetzt, nachdem er bei Salik eine Schwäche entdeckt hatte, auftaute und über seine Probleme redete. Tupaks Lage war kompliziert, aber der Mann sah selbst ein, daß er nicht f.rei von Schuld war, was den stetigen Arger mit den Behörden betraf. Jeder Bürger Terras bekam die Garantie, daß ihm bestimmte Dinge zur Befriedigung der Grundbedürfnisse gratis überlassen wurden, aber natürlich tauchten auch immer wieder Individuen auf, die das schamlos auszunutzen verstanden. Vor ihnen mußte man sich schützen. Tupak gehörte keinesfalls zu den notorischen Faulpelzen, es war ihm jedoch auch nicht gelungen, seine Motive klar genug darzulegen. Abgesehen davon vermutete Salik, daß es irgendwo ein psychologisches Gutachten über Tupak gab. Dieser Mann wäre keineswegs glücklicher geworden, hätte man ihm die materiellen Sorgen abgenommen und ihn in Tumain auf Staatskosten vor sich hin leben lassen. Er brauchte eine Aufgabe.
Welche Aufgabe aber gab es jetzt noch für einen Mann wie diesen, wenn doch bald alles vorbei war?
Jen Salik wußte es seit kaum zehn Minuten, und dabei war es doch so offensichtlich gewesen. Er versuchte,
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