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0979 - Der Totenhügel

0979 - Der Totenhügel

Titel: 0979 - Der Totenhügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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ein Mensch. Das würde ja heißen, dass sie vorher nicht so ausgesehen hatte. Da war sie dann kein Mensch gewesen. Hatte sie sich in einen Menschen verwandelt? Das Mädchen runzelte die Stirn. Es war alles sehr rätselhaft. Sollte sie zuvor etwas anderes gewesen sein? Wenn man ihrer Frage genau zugehört hatte, blieb nur diese Antwort.
    Nicht dass Lilian Angst bekommen hätte, doch sie wehrte sich innerlich, und ein komisches Gefühl stieg schon in ihr hoch. Es war so etwas wie eine innere Abwehr, und sie suchte auch krampfhaft nach Worten für die nächste Frage. Aber sie sagte: »Ich muss jetzt gehen.« Damit leitete sie ihren Rückzug ein, ohne dass ihre Freundin beleidigt wurde. »Es wird gleich dunkel. Meine Tante kommt bestimmt zurück, und mein Onkel ist nicht da. Er liegt im Krankenhaus von London.«
    »Ich weiß, Lilian.«
    Die Kleine glaubte, sich verhört zu haben. Sie schüttelte den Kopf. Der Mund verzerrte sich, aber lächeln konnte sie nicht. »Wieso weißt du das?« flüsterte sie dann.
    »Ich kenne ihn gut, denn er hat mir geholfen. Sehr sogar.«
    »Wie denn? Wie kann er dir geholfen haben? Er ist doch krank. Er musste weg. Sein Blinddarm…«
    »Von ihm weiß ich alles. Er war oft hier. Er hat mich entdeckt. Er und ich - wir haben uns gut verstanden. Es ist alles so wunderbar zwischen uns geworden. Er hat auch gemerkt, was ich wollte, und er hat sich einverstanden erklärt. Er hat mich zu dem gemacht, was ich bin. Er hat mir viel von sich gegeben, Lilian.«
    »Von sich?« flüsterte das Mädchen. »Was kann dir mein Onkel erzählt haben?«
    »Alles, mein kleiner Liebling. Alles, was ich wissen musste. Ich bin ihm sehr dankbar, und wir haben uns wunderbar verstanden. Er lebt, und ich lebe, aber er hat mich mit allem versorgt, was ich brauche.«
    Lilian kam nicht mehr zurecht. Was ihr da gesagt wurde, war einfach zu hoch für sie. Das ging weit über ihren Horizont. Das konnte sie einfach nicht begreifen. Da schwamm ihr Denken kurzerhand fort, da fehlte ihr das Begreifen, und sie schüttelte auch einige Male den Kopf.
    Plötzlich sah sie die Fremde, so wie sie auch war. Nämlich als eine fremde Person und nicht mehr als Freundin. Sie wollte nicht länger auf dem Hügel bleiben. Es war ihr vieles zu unheimlich geworden, und sie ging den ersten Schritt zurück.
    Die Person in der Tiefe bekam es mit. »He, Lilian!« flüsterte sie ihr zu. »Was ist denn los? Was hast du? Warum willst du weglaufen? Ich brauche von dir noch so viel. Du darfst jetzt nicht gehen. Wir werden noch vieles gemeinsam erleben und…«
    »Nein, ich will nicht!« Lilian schüttelte den Kopf. »Ich will es nicht mehr.« Plötzlich hatte sie es sehr eilig. Sie drehte sich um und drückte Oscar fest an sich, als wäre sie sein Rettungsanker. Dann rannte sie an der Hügelseite hinunter, an der sie auch hochgekommen war, und sie hörte noch einmal die Stimme aus dem Hügelgrab.
    »Sei vorsichtig, meine Kleine. Pass gut auf dich auf. Gib auf dich Acht. Nicht alle sind so wie ich. Es ist noch jemand da. Er passt auf, er ist anders, böse - hörst du? Böse. Er ist sehr böse…«
    Das letzte Wort wiederholte sie einige Male, aber das flüchtende Mädchen hörte nicht mehr hin. Lilian rutschte mehr, als dass sie ging, und sie kam sich vor, als wären Geister dabei, sie zu verfolgen, um sie später zu stellen und in ihr Reich zu zerren.
    Am Fuße des Hügels stolperte sie noch über einen Buckel und fiel hin. Oscar rutschte ihr aus den Händen. Er glitt noch ein Stück weiter vor und blieb liegen.
    Lilian rührte sich nicht. Platt auf dem Bauch blieb sie liegen. Sie hörte den eigenen Atem so laut und hatte plötzlich den Wunsch, weinen zu müssen.
    Das tat sie auch.
    Lilian ließ den Tränen freien Lauf. Sie quollen aus den Augen, sie rannen an ihren Wangen entlang, sie nässten das Gras, und sie spürte, wie ihr Rücken mehrmals zuckte.
    Es war die Enttäuschung, die sie weinen ließ. Sie hatte sich alles anders vorgestellt. Nicht so schlimm, so unbegreiflich. Was die Freundin gesagt hatte, damit kam sie nicht zurecht. Und überhaupt, wie konnte jemand in einem Hügel leben? Der war ja nicht aus Glas und Luft. Vielleicht doch…
    Sie raffte sich halbhoch und drehte sich auf der Stelle. Dabei schaute sie gegen den Hang und suchte das Glas.
    Es war nicht mehr da. Der Hügel hatte sich wieder geschlossen. Er war zu einer kompakten Masse geworden, auf der wie immer das Gras und andere Gewächse ihren Platz eingenommen hatten.
    Nichts wies mehr

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