098 - Die Blutfurie
vom Pferd. Das Tier wieherte seine panische Angst heraus, warf sich herum und ergriff die Flucht.
Pasquanell ließ es geschehen. Er brauchte das Pferd nicht mehr. Reglos stand er vor dem alten Haus. Es hatte zwei Türme und einen breiten Balkon, unter dem tiefschwarzen Schatten lag.
Überall sonst lebte die Natur, nur in der Nähe des Gebäudes schien sie tot zu sein. Abgestorben, erstickt am Keim des Bösen, der hier überall zu spüren war.
Pasquanell erinnerte sich an sein früheres Leben. Er wurde wieder zum Jäger, doch diesmal galt es nicht, einen Werwolf zu erwischen, sondern einen Vampir.
Und diesmal war der andere kein Feind, sondern ein Höllenbruder!
Aber das wußte Chelo Silenti noch nicht.
Der Blutsauger mußte denken, ein Lebensmüder habe es gewagt, sich hierher zu begeben.
Befand er sich hier draußen? Terence Pasquanell schaute sich wachsam um. Kaum ein Wesen konnte sich lautloser durch die Nacht bewegen als ein Vampir.
Sie waren Meister im Belauern und Anschleichen. Urplötzlich konnten sie auftauchen, als wären sie aus dem Boden gewachsen. Und wenn sie dann zuschlugen, hatten ihre Opfer zumeist nicht die geringste Chance.
Pasquanell entdeckte den Blutsauger nicht. Er schritt über welkes Laub auf eine Treppe zu, die zum Haus hinaufführte. Der gespenstische Ruf eines Nachtvogels flog durch die Dunkelheit.
Der Zeit-Dämon kümmerte sich nicht darum. Er setzte seinen Weg unbeirrt fort und erreichte das große Tor. Es stand halb offen.
Der Wirt hatte recht. Das Haus war leer.
Staub bedeckte den Boden, und trockene Blätter kratzten darüber, als ein Luftzug sie vor sich her schob.
Furchtlos ging Terence Pasquanell weiter. Jeden Augenblick rechnete er damit, daß ihm der Blutsauger in den Weg treten würde.
Doch der Vampir ließ sich damit Zeit. Beschränkte sich Chelo Silenti vorläufig nur aufs Beobachten?
Wartete er auf die beste Gelegenheit? Wollte er Pasquanell zunächst in Sicherheit wiegen? Silenti mußte davon ausgehen, daß er es mit einem Mann zu tun hatte, der von den unheimlichen Geschichten erfahren hatte, die sich um dieses einsame Haus rankten. Der Mann war gekommen, um sich hier umzusehen. Anfangs würde er noch wachsam und angespannt sein, doch wenn längere Zeit nichts passierte, würde er denken, daß nichts an den Geschichten dran war.
Und dann würde der Vampir leichtes Spiel mit ihm haben!
Terence Pasquanell blieb in der Mitte der großen Halle stehen. Sein Blick durchdrang die Dunkelheit. Wo mochte sich der Untote verborgen halten? Eine gebogene Treppe führte zum oberen Stockwerk, doch Terence Pasquanell nahm eher an, daß sich der Blutsauger im Keller aufhielt. Vampire bevorzugten die Keller ihrer Häuser oder Schlösser, weil sie dort vor dem Tageslicht sicher waren.
»Silenti!« rief Pasquanell mit kräftiger Stimme. »Chelo Silenti!«
Laut und unheimlich hallte sein Ruf durch das stille, leere Haus. Doch der Vampir befand sich nicht im Gebäude.
Er hatte es hastig verlassen, als er das rasch näherkommende Schlagen von Pferdehufen vernommen hatte.
Jetzt trat er zwischen zwei Bäumen hervor, und Gier glitzerte in seinen dunklen Augen.
Ein Wahnsinniger hatte es gewagt, allein hierher zu kommen. Einer, der sich anscheinend selbst beweisen wollte, wie mutig er war. Nun, er würde diesen Leichtsinn mit dem Leben bezahlen.
Chelos Ähnlichkeit mit seiner Mutter war unverkennbar. Er hatte die gleichen blutumrandeten Augen wie sie, die gleiche Gesichtsform, die gleiche Nase. Er sah lediglich jünger aus als Vera Silenti.
In jener Nacht vor zweihundert Jahren - nie würde er sie vergessen - hatte seine Mutter das Haus verlassen. Der Hunger hatte sie fortgetrieben, und sie hatte ihm nicht gesagt, wohin sie gehen würde. Es wurde spät, und Chelo Silenti wurde unruhig, denn so lange war seine Mutter noch nie fortgeblieben.
Sie war eine sehr vorsichtige Vampirin.
Um so mehr beunruhigte es ihn, daß sie nicht nach Hause kam. Es mußte ihr etwas zugestoßen sein. Als Chelo Silenti dieser Gedanke kam, beschloß er, seine Mutter zu suchen, obwohl die Zeit schon sehr knapp war.
Wenn er Vera fand, würde er mit ihr nicht mehr heimkehren können. Die Sonne würde aufgehen, und er würde sich mit seiner Mutter irgendwo verstecken und auf den nächsten Abend warten müssen.
Er hetzte durch den Nebelwald und suchte Vera, doch er fand sie nicht, und die Nacht verlor allmählich ihre schützende Dunkelheit. Die Schwärze, die dem Vampir so vertraut war, wich einem Grau,
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