0987 - Das Seelenloch
entlang, aber sie schafften es nicht mehr, sich in irgendeine Falte zu klemmen und Karin zu halten.
Der Ausgang war wichtig. Sie rannte so schnell wie möglich, aber sie hatte den Kies auf dem Weg vergessen. Die Steine waren klein, hell und an manchen Stellen glatt.
Urplötzlich wurde ihr rechtes Bein von einer gewaltigen Kraft erwischt und zur Seite gerissen. Ich fliege, dachte sie noch, dann prallte Karin bäuchlings auf den Boden, wo sie die Kälte der Steine spürte und für einen Moment liegenblieb, der ihr allerdings vorkam wie eine kleine Ewigkeit. Hinter oder über sich hörte sie einen widerlichen Laut. Ein Grunzen oder Grölen, satt und zufrieden.
Das war er.
Und er würde sie packen!
Dieser Gedanke peitschte noch einmal die Kraft und auch den Überlebenswillen in ihr hoch.
»Du hast mich erhört, Karin. Du hast mir den anderen geschenkt, ich lebe wieder…«
Die Worte waren schrecklich für sie und drückten das Schuldbewußtsein in ihr fest, während sie wieder auf die Beine kam und beinahe noch über den Saum des Mantels gestolpert wäre. In ihr steckte die Panik, und das war schlecht. So bekam sie nicht mit, wohin sie rannte. Sie wollte nur weg und sah das offene Tor des Ausgangs nicht.
Zwar konnte sie rennen, aber die Richtung war verkehrt. Das merkte Karin erst, als vor ihr ein Schatten in die Höhe wuchs.
Es war das Gemäuer der Kirche. Heller an den Außenseiten, wie die junge Frau sah, aber dunkler in der Mitte.
Dagegen prallte sie.
Es war die geschlossene Tür der Kirche, die sie auffing, und es war Karin im letzten Moment noch gelungen, ihr Tempo zu verringern. Trotzdem war der Aufprall schlimm.
Mit der Stirn prallte sie gegen das Holz. Sie spürte die Stiche durch den Kopf rasen, sie sah Sterne und befürchtete, ihr Kopf würde im nächsten Augenblick zerplatzen.
Karin verlor den Überblick. Sie schaffte es nicht mehr, sich normal auf den Beinen zu halten. Sie taumelte nach hinten und riß in einer für sie nicht nachvollziehbaren Weise die Arme hoch, als wollte sie sich einen Gegner vom Leib halten.
Der aber war nicht vor, sondern hinter ihr!
Karin bekam es zu spüren, da war es für sie bereits zu spät. Diesmal griffen und packten die Klauen richtig zu.
Schwer wie Eisen legten sie sich auf ihre Schultern. Die Griffe waren brutal und schmerzhaft. Schon beim Mauerdurchbruch hatte Karin die Kraft dieses Monstrums erleben können, hier spürte sie es am eigenen Leib.
Obwohl die Hände von oben zugegriffen hatten und nicht unter ihren Achseln lagen, wurde sie in die Höhe gezerrt. Der Schreck löste sich. Sie konnte wieder schreien, aber nicht lange und auch nicht laut genug.
Der alte Huber hatte sie.
Und er drehte sie herum. Ihre Beine schwangen noch immer über den Boden. Sie kippte nach hinten weg, wurde wieder in die Höhe geschleudert, behielt ihre Haltung bei und glaubte deshalb, mit dem Kopf zuerst aufzuschlagen.
Das passierte nicht, denn der andere fing sie ab. Nun lag Karin rücklings auf seinen Armen. Er trug sie wie ein Kind.
Starr vor Angst glotzte sie in die Höhe.
Der andere schaute auf sie nieder. Sie roch ihn. Das blutige Gesicht konnte keinem Menschen mehr gehören. Die Klinge hatte tiefe Wunden hinterlassen!
Das Monster lächelte. Es zerrte seine Lippen nach rechts und links, als sollte die Haut dort reißen.
Die Zunge tanzte wie ein grauer Klumpen aus dem Spalt hervor. Laute wehten darüber hinweg, als wollte ihr das Untier ein Schlaflied singen.
Auch Karin blieb nicht ruhig. Sie zitterte jetzt am ganzen Leib und wartete darauf, daß die Pranken dieser Gestalt sie zerquetschten.
Das Monster wollte dies nicht oder ließ sich Zeit. Nur das Gesicht zuckte plötzlich, und wieder würgte der Untote ein Wort hervor. »Schmerzen, Weihwasser - brennt so…«
Das Gestammel hatte Karin plötzlich wieder klar werden lassen. Weihwasser, dachte sie. Himmel, Weihwasser, das ist die Lösung! Ich muß an Weihwasser herankommen.
Die Arme wurden nicht festgehalten. Sie baumelten zu beiden Seiten des Körpers und schwangen wie selbstverständlich mit, als das Monstrum sich drehte.
Ein Ziel trafen Karins Finger nicht. Aber sie stellte fest, daß der alte Huber den Friedhof verlassen wollte. Dabei ging er dicht an den Grabreihen entlang. Er lief nicht normal, sonders schaukelte hin und her. Wieder machten Karins Arme die Bewegungen mit.
Der Untote ließ es zu, daß sie den Kopf nach rechts drehte und somit nach unten schauen konnte.
Manche der kleinen Wasserbecken
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