099 - Die Lady mit den toten Augen
nutzte, um seinen Weg zu
kontrollieren. Der Mann, der ihm nachblickte, war untersetzt und hatte ein
großflächiges, rundes Gesicht, in dem dunkle Augen seltsam schimmerten. Der
Beobachter, der den Russen nicht aus den Augen ließ, war niemand anderes als
Burke, der Butler des Lords.
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Als Iwan
Kunaritschew sich der Stelle näherte, wo er sich von Larry Brent getrennt
hatte, sah er, wie X-RAY-3 vom Baum kletterte und federnd auf die Füße sprang.
„Oha,
Towarischtsch“, wunderte sich der vollbärtige Russe. „Soll das ein Fitneß-Training sein oder hast du Affe gespielt, während
ich mich in Todesgefahr begab?“
Larry
grinste. „Keines von beiden, Brüderchen. Die luftige Höhe habe ich eingenommen,
weil ich von dort aus einen besonders guten Blick zum Castle hatte. Ich konnte
dich beobachten, wie du durch den Hof geführt wurdest.“
„Du hast
scharfe Augen.“
„Nein, aber
ein gutes Fernglas.“
„Hast du
wenigstens etwas sehen können, was sich gelohnt hat?“
„Das kommt
darauf an, was du alles wahrgenommen hast. Was für einen Eindruck hast du
gewonnen?“
Kunaritschew
berichtete: „Ich komme mit gemischten Gefühlen von dort zurück, Towarischtsch,
um es genau zu sagen. Es sind da einige Dinge, die der Nachprüfung bedürfen. Da
ist zum Beispiel die Tatsache, daß es die Verantwortlichen - in diesem Falle
gibt es nur zwei, nämlich Dr. Hill und Lord Billerbroke - strikt für unmöglich halten, daß ein Insasse der Anstalt seine Zelle
verlassen könne. Es mag stimmen, aber daß man dafür die Hand ins Feuer legen
kann - wie Dr. Hill das ausgedrückt hat - das finde ich übertrieben. Dafür war
die Zeit zu kurz, um alles zu überprüfen.“
Iwan tippte
noch mehr Dinge an, die sich zwar als harmlos erweisen konnten, die man aber
erst unter die Lupe nehmen mußte, um ganz sicher zu sein.
Die Anstalt
wurde praktisch von drei Leuten geführt: Dr. Hill, Lord Billerbroke und Burke, der Butler. Weiteres Pflegepersonal stand nicht zur Verfügung. Das
war einerseits verständlich. Wenn man bedachte, was heute Pflegepersonal
kostete, mußte gerade eine private Stiftung wie die von Lord Billerbroke , die aus eigener Initiative und persönlichem
Einsatz die Kosten trug, sparsam wirtschaften. Der eigene Kräfteeinsatz wurde
in der Anstalt hoch bewertet. Billerbroke konnte es
sich nicht erlauben, viel Personal einzustellen.
Er konnte
sich aus diesem Grund auch nicht erlauben, den Krankenbestand zu erhöhen,
obwohl er die Räumlichkeiten dazu gehabt hätte. Aber das Personal ließ eine
solche Aufblähung einfach nicht zu. Dies war der Grund, weshalb er sich auch
nur auf die Kranken konzentrierte, die keine Angehörigen mehr hatten und die
sonst dem Staat zur Last gefallen wären. Auf diese Weise erfüllte Billerbroke eine soziale Funktion ersten Ranges.
„Oberflächlich
gesehen ist eigentlich alles in schönster Ordnung“, schloß Iwan Kunaritschew
seine Ausführungen, „Aber ich kriege das Gefühl nicht los, daß es nicht
verkehrt wäre, mal ganz grell hinter die Kulissen zu leuchten.“
Larry warf
dem Freund von der Seite her einen Blick zu. „Heißt das, daß du vermutest, es
könnten dort eventuell verbotene Experimente durchgeführt werden?“
Iwans
Augenschlitze wurden schmal. „Wie kommst du gerade auf eine solche Idee? Läuft
deine Phantasie schon wieder fort mit dir? Oder hast du einen besonderen Grund
zu dieser Annahme?“ „Ich habe einen besonderen Grund, Brüderchen. Als du ins
Schloß gegangen bist, hat man dich von einem der oberen Stockwerke sehr genau
betrachtet.“
Iwan nickte.
„Ich weiß. Der Lord. Ich nehme ihm seine Neugierde nicht übel. Er hat schnell
den Kopf zurückgezogen.“
„Das hängt
aber nicht damit zusammen, weil er vor dir erschrocken ist, Towarischtsch. Er
wollte nicht gesehen werden. Und das hatte seinen Grund. Neben ihm am Fenster
stand nämlich noch jemand.“
„Dann hast du
mehr gesehen als ich.“ „Wen nimmt das wunder ? Ich
hatte den besseren Blickwinkel. Ich habe jede Pore der Schönen gesehen!“
„Es war keine
Rede davon, daß der Lord eine Tochter hat. Das hätte ich wissen müssen. Ich
hätte ihr gleich eine Hauptrolle in meinem nächsten Film angeboten.“
„Gesetzt den
Fall, es war die Tochter des Lords“, erwiderte Larry nachdenklich, „dann
hättest du trotz allem nicht viel als Schauspielerin mit ihr anfangen können,
Brüderchen. Das Mädchen, das ich am Fenster gesehen habe - hatte nämlich keine
Augen mehr!“
Der
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