0991 - Die letzte Horde
hielt ihre Mission für wichtig - aber nicht für so wichtig, daß sie sich deswegen von Amtraniks Horde hätte einfangen lassen wollen. Als sie aus dem Tal hervordrang, galt ihre ganze Aufmerksamkeit der Orteranzeige. Sie war bereit, sofort umzukehren, sobald ein Verfolger auftauchte. Aber nichts dergleichen geschah. Amtranik interessierte sich nicht für sie.
Der Fluggleiter war auf ihr Ziel programmiert, das einsam gelegene Seitental hoch droben in der Felsenöde des Bergmassivs, in dem sie mit Valba und Rubin zusammen vor ein paar Tagen den Eingang zu der Höhle gefunden hatte, die Njasi den Raum der Bücher nannte. Sie überließ das Fahrzeug sich selbst und hing ihren Gedanken nach.
Die Lage war nicht nur gefährlich, sie war aussichtslos. Wer glaubte, daß Amtranik das terranische Schiff in Ruhe lassen würde, nachdem seine Horde sich von den Folgen der Kontamination erholt hatte, der gab sich einer gefährlichen Selbsttäuschung hin. Der Barbar von Garbesch konnte sich nicht leisten, daß in der Milchstraße bekannt wurde, wohin er sich von Armadan von Harpoons Anlage aus gewandt hatte. Aus seinem bisherigen Kurs konnten die Verfolger extrapolieren, in wel-cher Richtung sein Ziel lag, und wurden ihm von da an nicht mehr von den Fersen weichen.
Darüber hinaus gab es ein zweites Motiv. Der Barbar war erniedrigt worden. Fremde waren in sein Flaggschiff eingedrungen und hatten sechs Gefangene entführt. Schlimmer noch: Amtranik selbst war niedergeschossen worden. Er würde auf Rache sinnen, und bei einem Wesen seiner Art war Rachedurst eine weitaus zwingendere: Triebkraft als ein Argument der verstandesmäßigen Logik.
Was also blieb der TRANTOR und ihrer Besatzung? Nur die Aussicht, von einer überwältigenden Übermacht angegriffen und vernichtet zu werden. Larsa hatte sich oft gefragt, wie sie reagieren würde, wenn sie eines Tages dem Tod gegenüberstand. Sie war überrascht. Ihre Reaktion war weder übermäßig emotional noch panisch. Sie empfand gar nichts. Es war eine schwer be-schreibbare Leere in ihr, ein Vakuum, das kein Gefühl duldete.
Sie schob die bedrückenden Gedanken von sich und versuchte, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Sie hatte nicht viel Hoffnung, daß sie bei Njasi viel erreichen könne. Aber sie würde es sich nie verzeihen, wenn sie nicht wenigstens ihre besten Argumente vorgebracht hätte.
*
Das Loch im Hintergrund der Seitenschlucht war noch vorhanden. Aber der Anblick der Felsenkammer, zu der das Loch hinabführte, hatte sich gewandelt. Der Kristallstrang hatte an Dicke zugenommen. Er erfüllte fast die ganze Wand. Das Volumen der Quarz-Substanz mußte sich verzehnfacht haben, seit sie das letzte Mal hier gewesen war.
Dasselbe Bild bot sich ihr auf dem serpentinenförmig gewundenen Felspfad, der aus der kleinen Kammer zum eigentlichen Raum der Bücher hinabführte: Die Kristallader, früher armdick, war zum Umfang eines mächtigen Baumstamms angeschwollen. Manchmal ragte sie so weit aus der Wand hervor, daß für Larsa in dem engen Gang kaum noch Raum blieb.
Der Serpentinengang endete in der Halle, in der sie bei ihrem ersten Vorstoß um ein Haar von den grünen Kristallen erschlagen worden wären. Wehmütig dachte Larsa an das Abenteuer zurück. Damals war Rubin Frekk noch normal gewesen, wenigstens zeitweise. Aber was hieß schon normal? Sein Eigenbewußtsein war unterdrückt.
Er war die Stimme Njasis geworden. Njasi beherrschte seinen Verstand, sein Empfinden, sein Unterbewußtsein sie bediente sich sogar des Wissens, das er irgendwo in den Tiefen seines Gehirns gespeichert hatte.
Larsa erschrak trotzdem, als sie den Jungen im Schein ihrer Handlampe zu sehen bekam. Er befand sich im Raum der Bücher, einer Höhle mit einer Decke in der Form einer spitzen Kuppel. Rubins Gesicht war eingefallen, wie ausgetrocknet, und in den Augen flackerte es unruhig.
„Rubin, du bist halb verhungert!" entfuhr es ihr gegen ihren Willen.
Das seltsame, eingefrorene Lächeln erschien auf dem mädchenhaften Gesicht.
„Ich bedarf keiner Nahrung,.wie ihr sie gewohnt seid! „ sagte er. „Njasi speist mich."
Larsa strich mit dem Lichtkegel an der runden Wand entlang. Hier, zum Unterschied von allem, was ihr bisher vor Augen gekommen war, hatte sich nichts geändert. Drei breite, diamantklare Kristallbahnen stiegen aus dem Boden und strebten an der gerundeten Wand entlang bis zum Zenit der Kuppel. Das waren die drei Bücher: Taknar, Odom und Merison, aber Merison war das
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