0993 - Das Rätsel der Schattenfrau
konnte ihn nicht beschreiben. Er zuckte auf dem Sessel hin und her, seine Hacken rammten gegen den Boden, und dann wehte die Dunkelheit auf ihn zu wie ein gewaltiges Tuch.
Sie verschluckte alles.
Der Schmerz hörte auf.
Jedes Gefühl war gestoppt, denn im Sessel hing ein Toter…
***
»Was ist?« fragte ich Suko, noch immer überrascht wegen seines Gesichtsausdrucks.
Er hob die Schultern. »Was soll sein? frage ich mal blöd zurück.«
»Moment mal. Du siehst doch so aus, als verstündest du die Welt nicht mehr.«
Mein Freund grinste schief. »So ähnlich komme ich mir auch vor, denn ich weiß nicht, ob das, was ich auf der Tanzfläche gesehen habe, Realität gewesen ist.«
»Wie sah diese denn deiner Meinung nach aus?«
Suko wollte noch nicht sprechen. Wir standen zu nah an der Tanzfläche und behinderten auch die Paare. Deshalb zogen wir uns in Richtung Bar zurück, ohne allerdings an sie heranzugehen. Wir blieben dort stehen, wo es schattiger war und das Licht der Scheinwerfer an uns vorbeiglitt.
»Ich höre.«
»Gut, John. Ich habe diese Erscheinung gesehen. Ich habe auch dich erkannt, denn ich konnte durch die feinstoffliche Geisterfrau hindurchblicken.«
»Das ist okay.«
»Dann bist du vorgegangen.« Ich nickte.
Plötzlich lachte mich Suko an. »Was danach passiert ist, das mußt du mir erklären.«
»Hast du es nicht gesehen?«
»Nein. Würde ich dich sonst fragen?«
»Was hast du überhaupt gesehen?«
»Nichts. Oder nicht viel. Diese Erscheinung verschwand plötzlich, als wäre sie explodiert. Auf einmal war die Geisterfrau nicht mehr da. Ist das korrekt, John?«
»Das stimmt. Aber ich wundere mich, daß du ihre Verwandlung nicht mitbekommen hast.«
»Wie bitte?« flüsterte er. »Ihre Verwandlung? Welche Verwandlung denn, zum Teufel?«
Ich erklärte er ihm, und mein Freund hörte noch immer staunend zu, denn so etwas konnte er sich kaum vorstellen, besonders deshalb nicht, weil er nichts gesehen hatte.
»O verflixt!« stöhnte er und faßte sich an den Kopf. »Da habe ich wohl einen Blackout gehabt.«
»Nicht unbedingt, denn ich glaube fest daran, daß auch die anderen Gäste nichts davon bemerkt haben. Nur ich konnte sie sehen, und ich sah sie so, wie sie in Wirklichkeit ist - wie Frogg sie uns beschrieben hat. Dunkel gekleidet, mit einer Kapuze oder Mantilla auf dem Kopf. Ein menschliches Gesicht, dessen Wangen allerdings durch blutige Wunden entstellt waren. So hat sie möglicherweise ausgesehen, als sie noch am Leben war.«
»Aber jetzt ist sie tot.«
»Wie auch immer.«
Suko wies mit dem Zeigefinger auf mich. »Und sie schafft es, in zwei Existenzen weiterzuleben.«
»Danach sieht es aus.«
»Aber du hast sie trotzdem nicht halten können. Da hat auch dein Kreuz nichts gebracht.«
»Das muß ich leider zugeben.« Ich hob die Schultern. »Etwas Positives haben wir trotzdem. Wir wissen jetzt, daß es die Totenfrau gibt, und zwar in zwei verschiedenen Zustandsformen. Das ist immerhin etwas. Außerdem werden wir Frogg auf den Zahn fühlen, denn der weiß mit Sicherheit mehr, als er zugeben will.«
Suko stimmte mir zu und sagte noch: »Ja, aber ich wundere mich darüber, daß er zuvor nicht den Mund aufgemacht hat. Waren wir nicht vertrauenswürdig genug?«
»Keine Ahnung. Es kann durchaus sein, daß gewisse Dinge, hätte er sie zugegeben, an seinem Image gekratzt hätten. Das wollte er sich eben nicht leisten.«
»Frogg, der Frosch«, murmelte Suko. »Wenn du mich fragst, ist er schon eine komische Type.«
»Kann ich nur unterstreichen.«
Es brauchte nicht viel, wenn wir uns Gedanken über Dinge machten, die es zwar geben mochte, für die wir allerdings noch keine Beweise auf den Tisch legen konnten. Dieses Erscheinen der Geisterfrau konnte seine Gründe durchaus in Froggs Vergangenheit haben. Darüber würden wir ihn schon befragen.
Um ihn sehen zu können, mußte ich mich auf die Zehenspitzen stellen.
Ich wunderte mich schon, daß er auch weiterhin auf seinem Sessel hockte und uns nicht entgegenkam, um etwas zu erfahren.
Wahrscheinlich war er so sehr mitgenommen von diesen nervenaufreibenden Vorgängen.
In dem Lokal lief der Betrieb normal! Die Mädchen servierten, die Gäste tranken, tanzten und unterhielten sich, als wäre der Spuk an ihnen vorbeigelaufen.
Da hakte es bei mir ein.
Tatsächlich waren die unheimlichen Vorgänge von den normalen Gästen nicht registriert worden. Es hatte eine Lücke auf der Tanzfläche gegeben, und die Paare hatten sie akzeptiert.
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