0999 - Der Mitternachtsfluch
brauchte nicht mal anzuhalten und auszusteigen. Wichtig war der Wald, der als schmaler Streifen über der Mulde wuchs, in dem wir auch den Teich finden würden.
Grace hatte nicht viel gesagt. Sie war sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, die mehr als negativ waren, denn immer wieder schüttelte sie den Kopf, sprach mal leise zu sich selbst, dann seufzte sie oder wischte über ihre Augen und schüttelte des öfteren den Kopf.
»Du mußt dich damit abfinden«, sagte ich nur.
»Ja, ich weiß. Aber kann ich das?«
»Es ist schwer, das stimmt.«
»Es ist nicht nur schwer, John, es ist auch ein verdammtes Problem, wenn ich ehrlich bin. Ich habe so etwas noch nie durchgemacht. Bisher ist mein Leben ziemlich normal verlaufen, und jetzt muß ich feststellen, daß mein eigener Vater auf der anderen Seite steht. Das kann ich nicht fassen, das will mir nicht in den Kopf. Er ist ein Diener des Herrn, aber er steht auf der anderen Seite.«
»Nicht freiwillig, Grace. Du hast ihn selbst gehört, und ich glaube nicht, daß er gelogen hat. Er ist in die Mühle hineingeraten, in der alle Felder steckten, und er ist der letzte. Es gibt keinen männlichen Nachfolger. Der Name wird aussterben. Da reicht es auch nicht, wenn du heiratest und einen Doppelnamen annimmst. So und nicht anders wird es gewesen sein.«
»Wenn schon, John. Versetz dich mal in meine Lage. Wie hättest du reagiert?«
»Kaum anders.«
»Dann hast du ja Verständnis.«
»Das allerdings.«
Wir fuhren weiter, und Grace hing wieder ihren Gedanken nach, bis sie sagte: »Hast du schon über eine Lösung nachgedacht, John?«
»Ja, das habe ich.«
»Und?«
»Ich kann dir nichts sagen, Grace. Ich weiß noch keine. Ich bin mir nicht sicher, was ich tun werde.«
»Du brauchst auf mich keine Rücksicht zu nehmen. Was geschehen muß, das muß geschehen.«
Ich gab ihr keine Antwort. Jeder von uns wußte, was das bedeutete. Es konnte also hart auf hart kommen, und es konnte damit enden, daß Tote zurückblieben.
Neben mir schauderte Grace Felder zusammen. Wahrscheinlich hatte sie denselben Gedankengang verfolgt wie ich, aber sie wollte nicht darüber sprechen, und außerdem war es bis zu unserem Ziel nicht mehr weit. Wir rollten bereits die Anhöhe hoch und auf den Waldrand zu, den ich kannte.
Der kleine Teich war noch nicht zu sehen, denn Buschwerk stahl uns den größten Teil der Sicht, aber die Zeit drängte. Viel blieb uns nicht mehr, und Grace Felder schaute immer wieder auf das Armaturenbrett, um die Zeit zu vergleichen.
Sie schwieg. Die Spannung hatte sie stumm werden lassen und natürlich auch die Angst um ihren Vater. An seinem Schicksal hatte sie schwer zu knacken. Für Grace war die Welt zusammengebrochen, denn daß ihre Familie in diesen Kreislauf hineingeraten war, hätte sie nie für möglich gehalten.
Ich stoppte an der Stelle, wo ich schon einmal gehalten hatte. Diesmal stieg nicht Brett McCormick aus, sondern Grace Felder, und ich fragte mich, wie es dem pensionierten Konstabler wohl ergangen war, denn gehört hatte ich nichts von ihm.
Wir drückten die Türen zu. Der Wind wehte hier oben etwas stärker. Er biß in unsere Gesichter.
Ich schaute nach unten. Grace war schon den flachen Hang hinabgegangen, dessen Gras durch den Frost glatt geworden war. Es war einfach zu dunkel. Auch wenn ich über die Buschgruppe hinwegschaute, so konnte ich den Teich leider nicht sehen, weil sich dort ebenfalls die Finsternis ballte.
Auch ich rutschte den Hang hinab. Dabei schaute ich auf die Uhr. Noch zwölf Minuten bis zur Tages wende. Ob der Fluch sich genau um Mitternacht erfüllte, war fraglich. Wahrscheinlich nahm sich Felder eine Stunde Zeit, so lange war unsere Welt für andere Angriffe offen. Das jedenfalls behauptete die Sage.
Grace Felder hatte nicht laut gerufen. In der Stille hörte ich ihren leisen Schrei aber deutlich genug. Sie stand noch vor mir, hielt die Arme verkrampft, dann bückte sie sich plötzlich.
Sie mußte etwas auf dem Boden gefunden haben, was sie in ein derartiges Erstaunen versetzt hatte.
Ich beeilte mich, rutschte die letzten Meter, und der Teich war plötzlich zweitrangig geworden, da ich Grace Felder schluchzen hörte. Erst als ich neben ihr stand, schaute sie hoch.
Zu erklären brauchte sie mir nichts. Ich erkannte den Mann, der zu ihren Füßen lag. Es war Brett McCormick, und es sah ganz so aus, als hätte ihn jemand niedergeschlagen und hier liegengelassen.
»Sie sind schon da, John!« keuchte Grace. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher