1 Frau, 4 Kinder, 0 Euro (fast): Wie ich es trotzdem geschafft habe
kein Beruf für mich, hat Hermann gesagt. Er wollte nicht, dass ich arbeiten gehe. Ich sollte lieber Klavierspielen lernen.« Sie wies mit dem Kinn in Richtung Flügel.
»Spielen Sie doch etwas für mich«, bat ich sie.
Sie guckte mich böse an. »Ich hasse das Ding. Lassen Sie mich bloß in Ruhe damit.«
Am nächsten Tag kam Herr Herbke vorbei, um nach dem Rechten zu schauen. Er schien aber noch etwas auf dem Herzen zu haben. Umständlich erklärte er mir, dass er meine Arbeit sehr schätze, seine Mutter sei lebendiger geworden, und mein Umgang tue ihr sehr gut. Jedoch habe man eine praktischere Lösung gefunden: Eine Angestellte, die im Haus wohnen und die Nachtschichten der Schwester damit überflüssig machen und seiner Mutter am Tag Gesellschaft leisten würde. Es täte ihm sehr leid.
Ich zeigte natürlich Verständnis und versprach ihm, noch so lange zu bleiben, bis die Neue da sei.
Im Hinterkopf ging ich bereits die nächsten Job-Inserate durch. Wie viele dieser kleinen Jobs könnte ich noch machen? Kam ich überhaupt noch am Gang zum Sozialamt vorbei? Meine Kräfte zehrten sich auf. Morgens um halb fünf saß ich am Küchentisch und übersetzte gegen unterirdisch schlechte Bezahlung Drehbücher amerikanischer Serienformate, ab halb sieben tummelten sich die Kinder in der Küche, dann hatte ich von 8 bis 16 Uhr Zeit für diverse Jobs inklusive Hin- und Rückfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Von 16 bis 19 Uhr war ich für die Kinder da, Schule, Arzttermine, Kindersorgen, Nöte, alles, was vier Fünf- bis Elfjährige umtreibt. Um abends von 19 bis 22 Uhr wieder an den Schreibtisch zu robben und eine weitere Folge der US-Serie zu übersetzen. Geldnot und Zeitnot hielten sich stets die Waage.
Frau Herbke genoss die verbleibende Woche mit mir in vollen Zügen. Wir unternahmen kleine Ausflüge, auf denen sie mir weitere Villen ihrer geliebten Nazis zeigte, sie führte mich durch die Hauptstadt und zeigte mir vom Beifahrersitz aus mit ihrer beringten Fingerkralle die Stellen, wo sie früher eingekauft, wo sie flaniert, wo sie ihren ersten Kuss bekommen hatte. An unserem letzten Nachmittag bewegte ich sie zu einem kleinen Spaziergang einige Straßen weiter, wo es ein kleines Café gab. Sie bestellte einen Eisbecher und Kaffee mit Schuss. Das korrigierte ich keinesfalls. Sie tupfte sich mit der Papierserviette den Schaum von den Lippen und schaute mich plötzlich listig an.
»Die Neue, ha, die Neue, die auf mich aufpassen soll, ist eine Polizistin, ja, früher gewesen. So sieht die auch aus. Wie ein Mann. Schrecklich. Aber mich kriegt die nicht klein. Sie haben mich auch nicht kleingekriegt, junge Frau.« Sie wedelte heftig mit ihrem gekrümmten Zeigefinger, dass die Goldreifen am Handgelenk gegen den weichen, hängenden Hautlappen ihres Unterarms schlugen.
»Junge Frau, Sie sind zwar sehr nett zu mir, aber auch Sie haben mein Pullen-Versteck im Pianoforte nicht gefunden.«
Mama, hinten an der Straße ist ein toller Sperrmüllhaufen!
Okay, kommt, wir laufen hin und gucken, ob etwas dabei ist. – Frieda, willst du nicht mitkommen?!
Nee, lass mal, du findest immer was, Mama, und dann müssen wir das wieder abschmirgeln und streichen – da will ich lieber von Anfang an nichts mit zu tun haben.
Immerhin bist du auf diese Weise zu einem schönen Nachttischchen gekommen.
Ja klar, aber ich weiß genau, wie das gleich abläuft. Du machst uns jeden Müll schmackhaft und dann haben wir nichts als Arbeit damit.
Kommunion-Couture
D ie außerhalb des Privaten stattfindenden Anlässe haben es an sich, dass sich an ihnen besonders stark der Kontrast zwischen finanziellem Normalo-Dasein und sorgenvollem monetärem Eiertanz verdichtet. Zu solchen Anlässen zählen Klassenfahrten, Feste in Schule und Gemeinde, Einladungen. Solange man im Privaten bleibt, lässt sich der defizitäre Dauerzustand irgendwie bewältigen, letztendlich interessiert es die Wenigsten, mit was man sich herumschlagen muss.
Es war Frühling geworden, und nun stand Friedas Kommunionfeier an. Meine Zweitälteste war eines von vierzig Kommunionkindern in der Gemeinde. Der erste Elternabend im Pfarrhaus wurde bereits von dem zentralen Thema beherrscht. Nein, nicht etwa der Vorbereitungsunterricht, die katholische Krux mit der Beichte, das geplante Besinnungswochenende im Kloster – sondern die Kleidung der Kinder an ihrem großen Tag, am Weißen Sonntag. Nach neunzigminütiger Diskussion stimmte man über die Kleiderfrage ab.
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