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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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wollte.

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    »Also bitte, Catherine, die Schlange ist vermutlich völlig harmlos und hat mehr Angst vor dir als du vor ihr. Da, sie läuft weg!«, rief er unwirsch und packte sie am Arm. »Du bleibst zukünftig an Land, junge Dame, sonst wirst du mir al e Tiere verjagen«, setzte er hinzu. »Frauen haben eben nichts im Urwald zu suchen.«
    Tief beschämt hatte sie gehorcht. Jetzt verdammte sie ihre Zimperlichkeit und wünschte sich sehnlichst an seine Seite. Unerklärlicherweise glaubte sie, dass ihm nichts zustoßen konnte, solange sie bei ihm war.

    *
Sie hob den Kopf von ihren gefalteten Händen und kehrte in die Gegenwart zurück. Mit brennenden Augen starrte sie hinunter auf den Fluss, spürte, dass die Müdigkeit der durchwachten Nacht sie einholte und ihre Glieder schwer wurden. Schwer wie Öl flössen die schattigen Wasser unter ihr dahin, glucksten um den hölzernen Schiffsrumpf, erzählten vom Leben an ihren geheimnisvollen Ufern im Inneren, von längst versunkenen König-reichen und unermesslichen Schätzen, ließen sie Bilder sehen, die prächtig waren wie Renaissancegemälde. Mit geschlossenen Augen lauschte sie den wispernden Stimmen, ihre Gedanken wurden mitgerissen wie auf dem Wasser schwimmende Blüten. Sie hüpften und drehten sich auf der Oberfläche ihrer Erinnerung, bis das ausgemergelte Gesicht von Mr. Irons, dem Missionar, auftauchte, bei dem sie immer auf die Rückkehr ihres Vaters hatte warten müssen.
    Auch für diese Reise hatte ihr Vater es so geplant. Doch sie hatten die Missionsstation am Ufer des großen Stroms verlassen vorgefunden. Der Anlegesteg war eingebrochen, nur Teile davon ragten noch aus dem Wasser, die Hütte, in der der alte Priester jahrelang gelebt hatte, war zerstört. Die Wände aus geschälten Baumstämmen ragten schwarz wie Mahnmale aus dem Waldboden, das Grasdach war zerfetzt und eingesunken. Es schien, dass ein Feuer gewütet hatte, genau konnten sie das jedoch nicht feststellen. Die letzte Regenzeit hatte alles in schwärzlichen Matsch verwandelt und der Urwald längst seine grünen Finger
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    ausgestreckt und sich zurückerobert, was man ihm einst entrissen hatte.
    Nur die durchweichte, verschimmelte Lederbibel von Mr. Irons zog Catherine unter einem angekohlten Holzbalken hervor. Auch das kleine Eingeborenendorf, das aus etwa zehn Hütten bestand, lag leer und stil vor ihnen. Eine Gruppe Affen tobte kreischend durch die Bäume. Der größte landete zu ihren Füßen, bleckte seine gelben Zähne und schwenkte dabei etwas Blitzendes in seiner Krallenhand.
    Catherine erkannte es sofort. »Das ist das Kruzifix von Mr. Irons«, flüsterte sie, wagte kaum lauter zu sprechen, so sehr be- schlich sie der Eindruck, dass hunderte von Augen sie beobachteten, hunderte von Ohren sie belauschten. Eine beklemmende Vorahnung bemächtigte sich ihrer, ein Gefühl von Unausweichlichkeit, von Tod und Verderben. »Was ist hier nur passiert?«, fragte sie.
    Keiner konnte ihr eine Antwort geben, und es blieb ihr auch keine Zeit, selbst eine zu suchen. Der Kapitän hatte auf Weiterfahrt gedrängt. »Der Wind ist günstig. Bei Flut müssen wir segeln, solange das Licht es noch erlaubt.« Jede Minute ließ er seinen Maat die Tiefe ausloten. Immer wieder musste die Carina treibenden Baumstämmen ausweichen, der Fluss wurde flacher, das Wasser floss nicht mehr stetig, es strudelte, und kleine Schaumköpfe zeigten, wo sich Felsen unter der Oberfläche verbargen. Als der Wind in sich zusammenfiel, ließ der Kapitän gegen den lauten Protest ihres Vater den Anker werfen. Sie hatten nur wenige Meilen flussaufwärts geschafft.
    »Heuern Sie ein paar kräftige Männer im nächsten Dorf an, Kapitän, die können den Kahn treideln. Sollte ja nicht so schwierig sein, was? Das Ufer ist hier flach, kommen Sie schon, Mann, oder besteht Ihre Mannschaft aus schwächlichen Betschwestern?«
    Die Ankerkette verschwand rasselnd im Wasser. »Bis hierher und nicht weiter, Monsieur le Roux«, beschied ihm der Kapitän. Wenn es um die Sicherheit seines Schiffes, seines ganzen Besitzes ging, zeigte er Unnachgiebigkeit. Doch da noch mindestens zwei Stunden Tageslicht verblieben, schickte er zwei Männer sei-41
    ner Besatzung an Land, um zu erkunden, was hinter der nächsten Flussbiegung lag. Minuten vor Einbruch der Tropennacht kehrten sie zurück.
    »Stromschnellen«, riefen die beiden Männer, noch bevor sie ihr nussschalenkleines Ruderboot wieder am Heck festmachten. »Völlig unpassierbar.« Dann

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