1 - Schatten im Wasser
sie ihren Kontrollgang fort.
Jabisas Hütte gab es nicht mehr, aber die ihres Bruders Sicelo stand noch, die ihr als Unterkunft dienen konnte, bis sie eine neue errichtet hatte.
Catherine kehrte zum Haus zurück, gab Viktoria noch einmal die Brust und legte sie in die Wiege. Es war Zeit für ihren Mittagsschlaf. Sie deckte ihre Tochter gut zu, denn mit dem Unwetter war kühlere Luft herbeigeströmt.
Jabisa schickte sie zum Grasschneiden. Das Hausdach, die Hütte des Mädchens und das Dach des Toilettenhäuschens mussten so schnell wie möglich neu aufgebaut werden. Die Kleine trollte sich, war noch immer stumm vor Schrecken.
Danach endlich nahm Catherine allen Mut zusammen und sah sich die zusammengebrochene Veranda an, die sich im Win 730
kel von etwa fünfündvierzig Grad nach vorn dem Tal zuneigte. Die vorderen Stützen waren weggebrochen, das Geländer auch, der Holzboden war aus seiner Befestigung am Haus gerissen, aber intakt, soweit sie erkennen konnte. Eine träge Schlammlawine wälzte sich den Hang hinunter, hatte die Amatungulus schon fast vollständig begraben. In ihrem Strom fing ein goldener Blitz ihren Blick ein. Sie kniff die Augen zusammen. Es war ganz ohne Zweifel eine ihrer Goldmünzen, und ihr fiel ein, dass sie den Münzsack nirgendwo gesehen hatte. Mit wenigen Schritten war sie wieder im Zimmer und suchte den Boden ab. Sie kroch auf Händen und Knien unter dem Gestrüpp herum, aber sie fand nur noch eine Hand voll von dem Schatz der de Vila Flors. Der Rest war vom Tornado gefressen worden. Der Schock traf sie hart. Minutenlang hockte sie am Boden, angeschlagen wie ein Boxer nach zu vielen Kopftreffern.
«Lass dich ja nicht unterkriegen. Was ist schon schnöder Mammon gegen dein Leben und das deiner Tochter.« Grandpere!
Gehorsam rappelte sie sich auf, sammelte die Münzen ein, warf sie in die Geheimkammer und schloss die Klappe. Mit diesem Problem würde sie sich später beschäftigen. Daraufhin verriegelte sie beide Türen, die auf die Veranda führten, und schärfte Jabisa ein, ihre Finger davon zu lassen. Ihre verletzte Hand gegen die Brust gepresst, überlegte sie, was als Nächstes zu tun sei.
»Hallo, Catherine«, sagte da eine Männerstimme vom Kücheneingang her, und sie erstarrte, als hätte jemand Eiswasser über sie gegossen. Sehr langsam wandte sie sich um.
Er war verdreckt und abgerissen, war offenbar wochenlang nicht aus den Kleidern gekommen, aber sein Lächeln, dieses träge, verruchte Lächeln, dieses verfluchte Lächeln, das ihr geradewegs in den Kopf stieg und ihr die Knie weich machte, das Lächeln hatte nichts von seiner Wirkung verloren. »Konstantin«, krächzte sie.
Er nahm ihre schlaffe Hand, führte sie zu den Lippen und sah sich dabei um. »Schlimm sieht es bei dir aus, mein Engel, und du musstest dieses Unwetter völlig allein durchmachen. Du armes, armes Mädchen. Doch nun bin ich da. Du bist nicht mehr allein.«
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Der letzte Satz war tödlich. Etwas zerriss in ihr, wie eine Sehne, die zu straff gespannt gewesen war. Sie brach zusammen. Geschüttelt von einem Weinkrampf, ließ sie es widerstandslos geschehen, dass Konstantin von Bernitt sie in die Arme nahm, ja, sie presste sich sogar enger an ihn, war so froh, dass endlich jemand da war, der das Unglück mit ihr tragen konnte.
Lange stand sie so, ließ sich trösten, ließ sich streicheln, ließ sich festhalten.
Später half er ihr, das Wohnzimmer notdürftig aufzuräumen, es gelang ihm sogar, den Ast zur Seite zu schieben und den Tisch aufzustellen. Er entfachte ein Feuer, und sie setzte Tee auf. Sie fand Brot und Marmelade im Vorratsraum, entdeckte dabei, dass der Sturm zwischen Mauer und Dach gefahren war und einige ihrer Medizinfläschchen zerbrochen am Boden lagen. Erst nach dem Essen wagte sie die Frage zu stellen, die ihr den ganzen Nachmittag auf der Zunge gebrannt hatte. »Sie suchen dich, weißt du das? Ganz Natal ist mit Fährtensuchern und Hunden hinter dir her.«
Er lachte vergnügt und zupfte den Faden aus seiner Jackenmanschette, wo ein Goldmetallknopf gesessen hatte. »Da müssen die Herren früher aufstehen. So schnell fängt man mich nicht. Mir ist nur dieses vermaledeite Unwetter dazwischengekommen, sonst wäre ich schon längst an Bord der Carina, die versteckt im St.-Lucia-See auf mich wartet.« Er stand auf. »Er-laubst du, dass ich die Jacke ausziehe?« Sorgfältig hängte er sie über die Stuhllehne und setzte sich wieder. Sanft legte er seine Hand auf ihren Arm, streichelte
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