1 - Schatten im Wasser
ihn nach ein paar entschuldigenden Worten schleunigst zu verlassen. Später, frisch gemacht und parfümiert, stand sie ein paar Schritte hinter ihm, als er mit Adam Simmons sprach.
»Kapitales Mädchen, diese kleine Baronesse«, raunte Cedric Arbuthnot-Thrice seinem Gastgeber zu, »außerordentlich geeignet für mich und mein Haus. Einwandfreie Familie, gute Erziehung, offenbar kerngesund. Etwas schmale Hüften, doch kräftig genug, um Kinder zu gebären.« Diesmal war sein anzügliches Zwinkern eindeutig. Sie wurde feuerrot, verschluckte sich fast vor Empörung und vermied es geflissentlich, noch einmal allein mit ihm zu sprechen.
Mit diesem Prachtexemplar lüsterner Männlichkeit wollte Wilma sie also verkuppeln. Weil er einen untadeligen Stammbaum und Geld hatte.
Prätentiöse Gans! Empört blies sie ihre Wangen auf.
Am nächsten Tag beendete sie die letzte Zeichnung. Die entzückenden kleinen Kapfinken mit den weißen Augenringen, die zwitschernd im Proteabusch herumturnten, waren ihre Modelle. Noch einmal prüfte sie das Bild. Die Bewegungen stimmten genau. Mit einem Seufzer tiefster Befriedigung legte sie die Zeichnung in den steifen Kartonumschlag und band die Haltebänder zu. Sie hatte sich Farbproben auf ein Extrablatt getupft, um später das Bild zu vollenden, und rechnete damit, dass sie noch vor Ende dieser Woche ihre Zeichenmappe nach Wien schicken konnte. In bester Laune kehrte sie in das Haus an der
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Adderley Street zurück; sie plante, sogleich Konstantin davon in einem langen Brief zu berichten.
Sie fand jedoch den Haushalt in heller Aufregung. Die kleinen Simmons-Mädchen hockten mit weit aufgerissenen Augen auf einer Bank in der Eingangshalle und schmiegten sich völlig verängstigt in die Arme ihres großen Bruders Johnnie.
»Was ist geschehen?«, rief Catherine erschrocken, während sie ihren Hut absetzte. »Johnnie, ist es deine Mutter?«
Er nickte nur, brachte aber kein Wort heraus und wischte sich mit dem Ärmel über die nassen Augen.
»Catherine.« Wilma eilte die Treppen herunter. Sie rang die Hände, ihr Gesicht war tränenverschmiert. »Ich hab's doch gesagt, ich wusste es. Es ist etwas Furchtbares. Wir müssen sofort hier weg.«
»Was ist denn um alles in der Welt geschehen? Ist Mrs. Sim- mons ...?«
Sie brachte es nicht über sich, vor den Kindern ihre schlimme Vermutung auszusprechen.
»Nein, noch nicht, aber sie wird sterben, so sicher wie das Amen in der Kirche. Es sieht so aus, als hätte sie die Blattern, die schwarzen Pocken.«
Wilma nahm keine Rücksicht auf die Kleinen.
»O mein Gott!« Catherine schlug die Hände vor den Mund. Die Pocken.
Der schwarze Tod. Während des Ausbruchs der Seuche in Hamburg war sie im Hafen über die pustelübersäte Leiche einer Pockentoten gestolpert.
Sie lag in der Gosse zwischen Ratten und Unrat, und ihr Vater meinte, dass ihre Verwandten sie einfach dort zum Sterben abgeladen hätten. »Im letzten Stadium stinken sie nämlich ganz unerträglich, das ist wohl der Grund«, hatte er ihr erklärt.
Sie nahm die Hände vom Gesicht und schnupperte unwil kürlich, ob sie den Gestank der Pockenkranken schon riechen konnte. »Wilma, das darf nicht sein. Die arme Mrs. Simmons. Ist es sicher?«
»Was heißt, die arme Mrs. Simmons, die ist ohnehin nicht mehr zu retten, was ist mit uns? Uns wird der schwarze Tod auch hinwegraffen, wir haben dieselbe Luft wie sie geatmet, Sa
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chen berührt, die sie in der Hand gehabt hat, vielleicht hat es uns auch schon erwischt, obwohl du ja behandelt bist.« Wieder rang sie die Hände und hob ihr schweißüberströmtes Gesicht gen Himmel. »Heilige Jungfrau Maria, beschütze mich ...«
»Wenn du noch ein weiteres Wort sagst, schlag ich dir ins Gesicht, das schwör ich dir«, sagte Catherine eisig. »Du solltest dich schämen, dich vor den Kindern so gehen zu lassen.« Sie schwang herum und eilte die Stufen zum Schlafzimmer der Simmons' hinauf.
Doch Adam versperrte ihr den Weg. Seine Augen glühten in dem leichenblassen Gesicht, seine Hand drückte ihren Oberarm wie eine Schraubzwinge zusammen, aber seine Berührung hatte nichts Anzügliches.
Sie hielt stil . »Sie können Elizabeth nicht besuchen, es ist zu gefährlich«, seine Stimme war belegt. »Der Arzt ist sich fast sicher, dass sie die Pocken hat. Es bleibt uns nur, für sie zu beten. Und für uns alle, denn das könnte der Beginn einer weiteren Epidemie sein.« Er ließ sie los. »Wenn Sie helfen wollen, verlassen Sie das Haus, und
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