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1 - Schatten im Wasser

Titel: 1 - Schatten im Wasser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Barcelona beobachtet hatte, strudelten jetzt in ihrem Kopf durcheinander.
    Es war an einem schwülen Hochsommerabend gewesen, ihr Schiff ankerte am Kai von Barcelona, und ihr Vater war an Land gegangen, um einen seiner Kollegen zu treffen. Ihr hatte er befohlen, in ihre Kabine zu gehen. Aber es war ein sehr warmer Abend, und ihr war unerträglich heiß, außerdem wollte sie den Sternenhimmel studieren, über den sie kürzlich gelesen hatte. Ihr Kopf schwirrte von all den komplizierten Namen. Also ging sie trotzdem an Deck, ihr Vater brauchte es ja nicht zu erfahren.
    Barfuß huschte sie über die warmen Planken, als ein Geräusch sie innehalten ließ.
    Ein Ächzen und Knurren, das nicht von einem Menschen zu kommen schien, dann der helle Schrei einer Frau wie in Todesangst, der in einem lang gezogenen Stöhnen endete. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Jetzt lachte die Frau, eine derbe Stim
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    me antwortete Unverständliches, und die Frau stöhnte wieder. Geräuschlos drückte sich Catherine an der Reling entlang, bis sie den Stimmen näher war, und duckte sich hinter die Aufbauten. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit, und sie entdeckte einen Mann und eine Frau, die auf den aufgerollten Tauen auf der Ladeluke lagen. Der Mann lag oben, die Frau unten. Aus ihrem offenen Mund drang lautes, lustvolles Stöhnen. Sein blanker Hintern hüpfte im hellen Mondlicht auf und ab, die nackten Schenkel der Frau leuchteten weiß. Die Schürze, die sie trug, der bis zur Tail e hochgeschobene, gestreifte Rock aus grober Baumwolle, verrieten, dass sie ein Serviermädchen aus einer der Hafenspelunken war.
    Plötzlich schüttelten sich beide wie im Krampf, die Frau stieß einen markerschütternden Schrei aus, der Mann brüllte, dann brach er über ihr zusammen, und Catherine befürchtete, dass sie beide hinüber waren.
    Schon wollte sie hinlaufen, da rollte der Mann zur Seite, sprang auf, zog die Hosen hoch und streckte der Frau die Hand entgegen. »Arriba! Vamos, pronto«, sagte er, zog sie hoch, kletterte mit ihr übers Fallreep und verschwand im Bauch der großen Hafenstadt.
    Den Rest des Abends verbrachte Catherine mit dem Versuch, das Gesehene zu verstehen. Es hatte den beiden Spaß gemacht, da war sie sich sicher. Aber wozu das Ganze? Sie fand keine befriedigende Antwort, obwohl sie vage vermutete, dass es etwas mit den Erzählungen der Matrosen zu tun hatte, mit diesen Gesten, die sie nicht verstand, den Worten, die ihr keiner erklären wollte. Sie vertiefte sich ins Lexikon, das ihr Vater immer mit auf Reisen nahm. Aber keiner der von den Matrosen benutzten Begriffe stand darin. Unter »Geschlechtstrieb« las sie: »Starker Trieb zur Fortpflanzung und Erhaltung der Art durch Erzeugung neuer Individuen vermittelst geschlechtlicher Vereinigung dienend.«
    Aber auch diese stocknüchterne Erklärung trug nichts zu ihrer Erleuchtung bei. Das Mädchen auf dem Schiff schien Freude gehabt zu haben, die Geschichten Adeles verhießen das Höllenfeuer für jeden, der es unverheiratet trieb. Für eine verheira
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    tete Frau schien es nach den kryptischen Andeutungen ihrer Tante die Hölle schon auf Erden zu sein. »Es ist die Prüfung Gottes. Man muss es ertragen«, hatte Adele gewispert und ihr zerknülltes Taschentuch an den Mund gepresst.
    »Aber woher weißt du das, du bist doch nicht verheiratet?«, hatte Catherine bemerkt und eine Kopfnuss für ihre Impertinenz eingefangen.
    Sie zupfte an den Seidenbändern ihres Brautkleids. Würde sie Höllenqualen ertragen müssen, oder würde es ihr so ergehen wie dem Mädchen mit dem Schauermann? Vielleicht löste Johanns Berührung dasselbe Gefühl von köstlich träger Sinnlichkeit aus wie die von Konstantins Lippen? Seiner Hände, seiner Zunge, seiner Haut? Die Erinnerung an ihn überfiel sie mit der Wucht eines Erdbebens, und jede Faser ihres Körpers schrie nach ihm. Ihr wurde auf einmal sehr warm, feiner Schweiß überzog ihre Haut, der Puls dröhnte in ihren Ohren. Sie schwankte, alle Instinkte befahlen ihr, zu fliehen, bevor es zu spät war. Die Wände des Raumes wurden zu Kerkerwänden, und sie brauchte jedes Quäntchen Kraft, um ihre Panik niederzukämpfen. Minutenlang stand sie da, bis sich ihr Blick wieder klärte. Sie hatte ihr Lager gewählt, nun musste sie daraufliegen. Buchstäblich.
    Entschlossen streckte sie sich auf dem Bett aus, kniff die Augen zusammen und stählte sich für das, was nun kommen würde. Sie überlegte noch, ob sie die Kerzen löschen

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