1 - Schatten im Wasser
den Augen.
»Warum schläft er immer an Deck? Gibt es keinen Platz in der Mannschaftskabine für ihn?«
»Doch, natürlich, aber er würde sterben vor Angst da unten.
Buchstäblich. Ihm ist nicht geheuer, dass ein Schiff schwimmt, und die Vorstellung, im Bauch dieses Ungeheuers eingeschlossen zu sein, ist für ihn so furchtbar, dass er sich lieber an Deck festbindet und den Stürmen trotzt. Er ist fast noch froher als ich, nach Inqaba zurückzukehren.«
»Wer beaufsichtigt deine Leute im Haus, wenn du nicht da bist? Hast du einen Majordomus?« Der Sturm riss ihr fast die Worte aus dem Mund.
»Einen was?«, brüllte er gegen das Röhren.
Eine große Welle brach sich am Bug und durchnässte Catherine bis auf die Haut. Sie sprang mit einem Aufschrei zurück und vergaß ihre Frage.
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Sicelo zu ihren Füßen würgte, spuckte aus und kniff dabei immer noch seine Lider fest zusammen. »Meine Ahnen haben mich verlassen, ich bin allein in dieser Welt«, lamentierte er. »Ich werde hier sterben, und mein Körper wird im Bauch von Imfingo landen, dem großen Fisch, der mehr Zähne hat als das Krokodil. Mit mir im Bauch wird er durch das große Wasser schwimmen, hierhin und dorthin, bis die Zeit zu Ende ist, und meine Angehörigen werden meine Seele nicht in mein Umuzi zurückbringen können. Das bedeutet großes Unglück für sie.«
»Ich bin der Mann, der den Lieblingssohn deines Königs aus den Klauen des Leoparden gerettet hat, und ich sage dir, dass du nicht sterben wirst, Sicelo, aber du wirst mindestens eine Ziege opfern müssen, um deine Ahnen zu besänftigen.«
Sicelo öffnete seine Augen. »Eine Ziege, eh?«, ächzte er und schürzte betroffen die Lippen, während er seinen Blick über das wilde Meer schweifen ließ. Wasser lief ihm aus den Kraushaaren übers Gesicht, auch Wams und Beinkleider waren tropfnass. Er lockerte den Strick, mit dem er sich am Mast festgebunden hatte, so weit, dass er ihm nicht mehr den Brustkorb einschnürte. »Vielleicht doch besser eine Kuh, mein Freund?«
Mit großem Ernst überdachte Johann diese Frage. »Vielleicht besser eine Kuh«, bestätigte er endlich. »Deine Ahnen werden sehr zufrieden sein, und das Glück wird in dein Umuzi zurückkehren. Siehst du, der Wind wird schon jetzt weniger. Du wirst dich bald losbinden können.«
Sicelos Gesicht leuchtete auf, er löste den Strick aber vorsichtshalber nicht vollständig. Mit geschlossenen Augen begann er wieder, vor sich hinzuflüstern.
Die Nacht war ein Inferno aus tintenschwarzen Wolken und heulenden Sturmböen. Die Steinachs lagen in ihren Kojen, aber an Schlaf war nicht zu denken. Keiner an Bord des Seglers tat ein Auge zu. Gegen fünf Uhr in der Früh, als wässriges Grau den Morgen ankündigte, hörten sie einen lauten Knall und ein Klirren, dann klatschte etwas ins Wasser, das Schiff drehte quer zum Wind und legte sich zur Seite. Johann führ hoch und stieß sich prompt den Kopf an der niedrigen Decke.
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MMK
»Verflucht, ich glaube, die Ankerkette ist gerissen«, schrie er, sprang aus der Koje und war mit zwei Schritten an der Tür und die Stufen des Niedergangs hoch, bevor Catherine reagieren konnte. Sie rannte ihm nach und glaubte, in der Hölle gelandet zu sein. Der Himmel hatte sich herniedergesenkt, schiefergraue Wolkenfetzen schleppten wie Vorhänge über das geisterhaft hellgrüne, schäumende Meer, treibender Regen nahm ihnen die Sicht. Eine Sturmbö warf sie um, sodass sie auf Händen und Knien auf dem schwankenden Deck landete. Nur mühsam gelang es ihr, sich an einem Tau hochzuziehen, und sie entdeckte entsetzt, dass die White Cloud den Felsen, die dem Bluff vorgelagert waren, bereits gefahrlich nahe war und mit jeder Welle näher an die nadelscharfen Spitzen getrieben wurde. »Herrgott, der Du bist im Himmel, hilf uns...«, betete sie und lauschte dabei voller Angst dem Orgeln des Orkans und den Schreien des gepeinigten Schiffs.
Der Kapitän befahl, sämtliche Passagiere zu wecken und an Deck zu bringen. Al e, sofort, so wie sie waren. Das geschah, und bald drängten sie sich alle um ihn. Einige trugen nichts als dünnes Nachtzeug und zitterten vor Nässe und Kälte. Hilflos mussten Besatzung und Passagiere mit ansehen, wie ihr Schiff in sein Verderben trieb. Schon kratzte der Schiffsboden über ein Hindernis, das tief unter der Wasseroberfläche lag.
Catherine verrenkte sich den Hals, um ihren Mann zu entdecken, wagte in der Furcht, über Bord gespült zu werden, aber nicht, das Tau loszulassen.
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