1 - Schatten im Wasser
Catherine verstand nichts. Sie sprachen Zulu miteinander.
»Yebo«, stimmte Johann seinem Begleiter zu und drehte sich zu seiner Frau. »Sicelo meint auch, dass wir heute Nacht Sturm bekommen. Wir sollten unser Gepäck wieder mit hinunternehmen. Ein Glück, dass meine Werkzeuge und Vorräte noch im Laderaum sind.«
Kaum waren sie unter Deck, setzte harter Regen ein. Das Prasseln mischte sich mit dem Donnern der Brandung und dem tiefen Orgelton, mit dem der Wind durch die Takelage fegte. Das Schiff stampfte und rollte und zerrte an seinem Anker. Al e Passagiere waren wieder in ihre Kabinen zurückgekehrt, und die meisten waren furchtbar seekrank, manche weinten.
Selbst Catherine wurde der Magen flau, als der Segler sich hart backbords legte, nur langsam aufrichtete und gleich weit nach steuerbord rollte. Sie musste an den Hai denken, den die Matrosen gefangen hatten, und an Johanns Worte. Irgendwo hatte sie gelesen, dass auch Fische seekrank wurden und sich in größere Tiefen verzogen. Ob das auch auf Haie zutraf? Der Schiffsboden bekam plötzlich eine Neigung von mehr als fi nfundvierzig Grad, und beide wurden aus der Koje geschleudert, rutschten über die Planken zwischen die Beine des festgeschraubten Tisches.
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»Au«, schrie sie, »Hölle und Verdammnis, das hat wehgetan.«
»Deine Ausdrucksweise, meine entzückende Frau Steinach, ziemt sich ganz und gar nicht für eine Dame.« Johanns Ton war streng, sein Gesichtsausdruck nicht.
»Dann bin ich eben keine Dame«, keuchte sie und rieb sich ihren geprellten Rücken.
»Wir sollten unsere Sachen festzurren. Sonst werden sie kurz und klein geschlagen.« Er kroch unter dem Tisch hervor.
Das Schiff streckte das Heck in die Luft und raste einen Wellenberg hinunter. Der Boden unter ihnen schüttelte sich, hüpfte, stampfte, als säßen sie auf einem durchgehenden Pferd. Catherine versuchte vergeblich, sich irgendwo festzuhalten, wurde wie eine Puppe von einer Kabinenwand zur anderen geworfen. Johann erwischte sie am Knöchel und zog sie zu sich heran. »Halt dich an mir fest«, schrie er über das Jaulen des Sturmes.
Aus dem großen Gemeinschaftsschlafraum - nur die wenigsten der Auswanderer konnten sich eine Kabine leisten - klang Kinderweinen, jemand übergab sich lautstark, einige beteten. Irgendwo auf dem Schiff verrutschte Ladung und rumpelte gegen die Bordwand, und die Todesangst, die Catherine während des Sturms auf der Carina gepackt hatte, kam zurück. Mit beiden Armen umklammerte sie ihren Mann, presste ihren Kopf an seine Brust. Kraftvoll und stetig pulsierte sein Herzschlag durch ihren Körper, und langsam passte sich ihr eigenes, rasendes Herz seinem ruhigen Rhythmus an. Ihre Angst schwand. Johann war bei ihr.
Die Welle spuckte den Segler wieder aus, der Boden schwankte zwar noch heftig, aber Johann schaffte es, aufzustehen. Breitbeinig balancierte er die Schlingerbewegungen aus und half ihr ebenfalls hoch. Mit geübten Handgriffen zurrte er ihre gesamte Habe fest. »So, nun kann nichts mehr passieren«, grinste er, völlig unbeeindruckt von dem Toben der Elemente.
»Außerdem ist das Schlimmste vorbei. Hast dich gut gehalten, mein Mädel.
Komm, lass uns an Deck gehen und sehen, wie es Sicelo ergangen ist.«
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»Warte, bitte.« Rasch flocht sie ihre Haare in einen dicken Zopf und versteckte ihn unter ihrem Schal, den sie fest um den Kopf schlang. »So, nun bin ich fertig.«
Er zog sie den Gang entlang zur Stiege nach oben, und als sie das Deck betraten, riss der Wind ihren Schal herunter und peitschte ihr den Zopf ums Gesicht. Mit beiden Händen hielt sie ihn zurück und schaute sich in dem grauen Licht des frühen Abends um. Sicelo hatte sich mit einem Strick am Hauptmast festgebunden. Sein Gesicht hatte die Farbe nasser Asche, die Augen hielt er fest zugepresst und murmelte dabei mit bebenden Lippen vor sich hin. Ab und zu überschwemmte eine Welle das Deck und begrub ihn unter einem Schwall Wasser. Dann steigerte sich sein Gebet zu Geschrei.
»Er spricht mit seinen Ahnen, fleht sie an, ihn zu beschützen, verspricht, ihnen ein Huhn zu opfern, wenn er wieder lebend in sein Umuzi zurückkehrt«, übersetzte Johann seiner Frau.
»Schätzt er sein Leben nicht höher ein als das eines Huhns?«
»Unser Sicelo ist ein vorsichtiger Mann«, schrie er gegen das Tosen der Wellen und lachte. Er lachte viel in diesen Tagen, mehr, als er es je zuvor getan hatte. Das Leben perlte wie Sekt in seinen Adern. Er streichelte die Frau in seinem Arm mit
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